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Belastungsprobe. Tagelang warten Flüchtlinge auf ihre Registrierung beim Landesamt für Gesundheit und Soziales.

© Michael Kappeler/dpa

Neue Schätzung: Behörden erwarten bis zu 90.000 Flüchtlinge in Berlin

In Berlin leben zurzeit 25.000 Flüchtlinge in 83 Sammelunterkünften. Bis zum Jahresende dürfte ihre Zahl noch massiv steigen.

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Vielleicht sind es an diesem Dienstag nur 600 Männer, Frauen und Kinder, die in Berlin ankommen. Wahrscheinlicher aber sind 700, 800 – und wenn am Wochenende besonders viele Flüchtlinge die österreichisch-deutsche Grenze nach Bayern überqueren, könnten es auch 1000 werden, die allein am Dienstag in Berlin versorgt werden müssen. Einige in den Behörden rechnen schon mit bis zu 90.000 Flüchtlingen, die bis Jahresende 2015 die Stadt erreicht haben werden.

Fest steht, dass bisher 30.000 Neuankömmlinge im laufenden Jahr einen Asylantrag in Berlin gestellt haben. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr gab es in Berlin insgesamt 12.300 Asylanträge. Außerdem leben tausende abgelehnter Asylbewerber seit Jahren, manchmal seit Jahrzehnten mit einer Duldung in der Stadt. Und zusätzlich zu denen, die einen Asylantrag gestellt haben, dürften sich Tausende unregistriert in Berlin aufhalten. Viele Flüchtlinge wurden – um Obdachlosigkeit zu verhindern – in Unterkünfte gebracht, ohne dass sie Papiere und Anträge abgeben konnten.

Der Senat geht von 3000 unregistrierten Flüchtlingen aus

„Derzeit gehen wir von 3000 unregistrierten Flüchtlingen aus“, sagte eine Sprecherin von Sozialsenator Mario Czaja (CDU), „die allein in den letzten Wochen in die Stadt gekommen sind“. Zu den neuen Schätzungen äußerte man sich im Berliner Senat am Montag nicht. Grundsätzlich waren die meisten Prognosen in diesem Jahr nach wenigen Tagen überholt. In der Bundespolitik munkeln einige, 2015 würden insgesamt 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland kommen – dann wäre die Zahl 90.000 für Berlin nicht unrealistisch.

Die Piraten halten nichts von Prognosen mit Flüchtlingszahlen

Kritisch sieht man den Umgang mit Flüchtlingszahlen bei den Piraten. Die Prognosen seien nicht seriös, sagte Fabio Reinhardt, Flüchtlingsexperte der Fraktion im Abgeordnetenhaus. Spekulationen anzustellen und sich in den Schätzungen überbieten zu wollen, sei falsch. „Dringlichste Aufgabe der Politik ist es, sich anständig um die Menschen zu kümmern“, sagte Reinhardt am Montag. „Da kann und muss noch wesentlich mehr passieren.“

Senator Czaja sucht dringend Gebäude für die Unterbringung. Bislang gibt es 83 Sammelunterkünfte in Berlin, in denen insgesamt 25 000 Flüchtlinge leben. Die anderen sind in Wohnungen oder Hostels untergebracht. Zudem möchte Czaja schnellere Verfahren. Immerhin will das Migrationsbundesamt die Bearbeitung einiger Asylanträge beschleunigen und hat neben Nürnberg neue Entscheidungszentren in Berlin, Bonn und Mannheim eröffnet.

Nach wie vor diskutieren die Fachleute aus Senatssozialverwaltung und Feuerwehr, wann und wie der frühere Flughafen Tempelhof und das Internationale Congress Centrum (ICC) in Charlottenburg mit Flüchtlingen belegt werden können. Eine Messehalle ist, wie berichtet, vom zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) schon übernommen worden.

Der Messebetrieb ist nicht beeinträchtigt

Die Nutzung der Halle 26 für 1000 Flüchtlinge beeinträchtigt den Messebetrieb auch nicht. Nur ein großes, transportables Wasserbecken, das für die Freizeitmesse „Boot & Fun“ benötigt wird, musste in benachbarte Gebäude verlegt werden. Diese Veranstaltung, die am 26. November startet, kann aber ebenso wie die Hippologica im Dezember ganz normal stattfinden. Umgekehrt bekommen die Flüchtlinge vom ungewohnten Messetrubel nicht viel mit, weil sie die 11 000 Quadratmeter große Halle 26 durch den Speditionseingang betreten können.

„Die Halle ist ein Solitär“, sagt Messesprecher Michael Hofer, „und deshalb besonders gut geeignet für die Unterbringung der Hilfe suchenden Menschen“. Außerdem sei der Standort über den S-Bahnhof Messe-Süd gut an den öffentlichen Personennahverkehr angebunden. Es bleibt aber dabei: Am 14. Dezember müssen die Flüchtlinge wieder ausziehen, damit die Grüne Woche und die Modemesse Panorama vorbereitet werden können. Auch gibt es keine sinnvolle Möglichkeit, andere Teile des Messegeländes zu Notunterkünften für Flüchtlinge umzubauen. Zuständig für die Halle 26 ist nun der Malteser Hilfsdienst. Bundeswehrsoldaten und das Technische Hilfswerk halfen beim nunmehr abgeschlossenen Aufbau der Räume. Auch die Mitarbeiter der Messe „helfen, wo sie nur können“, versicherte Pressesprecher Hofer. Da seien sich in dem landeseigenen Unternehmen alle einig.

Das ICC befindet sich im "Stillstandsbetrieb"

Wann das ICC als winterfeste Flüchtlingsunterkunft eingesetzt wird, steht noch nicht genau fest. Es reicht ja nicht, dass Wasser und Strom fließen. Auch Heizung, Lüftung, Sanitäreinrichtungen und die Sprinkleranlage müssen wieder in Gang gesetzt werden. Denn das ICC befindet sich seit Frühjahr 2014, als der Kongressbau geschlossen wurde, in einem sogenannten „Stillstandsbetrieb“. Schritt für Schritt muss die große, zentral gesteuerte Maschinerie wieder hochgefahren werden.

„Das ist technisch gar nicht so einfach, und auch nicht gerade preiswert“, sagt Hofer. Zuständig sind die Techniker der Messe GmbH. Die Kosten werden letztlich aus dem Berliner Haushalt finanziert. Das ICC hat allerdings den Vorteil, das die Nutzung als Notunterkunft zeitlich nicht befristet ist. Das Gebäude soll zwar teilweise saniert werden, aber die Bauarbeiten werden voraussichtlich frühestens 2018 beginnen. Möglicherweise, so heißt es, können die ersten Flüchtlinge schon in zwei Wochen einziehen.

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