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Immer dabei. Hans-Christian Ströbele beim AL-Parteitag 1983.

© picture alliance/Paul Glaser/p-a

"Alternative Liste": Bei den Grünen sind die 80er Jahre jetzt vorbei

Als letzter trennt sich der Spandauer Parteiverband von Namenszusatz „Alternative Liste“. Die Partei hofft auf einen Neuanfang.

Von Sabine Beikler

West-Berlin 1978: Überall arbeiteten Öko-Bäckereien, Kollektive, Kinderläden, Kiezgruppen und Bürgerinitiativen. Viele waren auf der Suche nach einer organisierten Opposition. Am 5. Oktober 3000 trafen sich Gewerkschafter, K-Grüppler, Spontis, linke Anwälte, darunter der frühere SPD-Innenminister Otto Schily, in der Neuköllner „Neuen Welt“ und gründeten die „Alternative Liste“, kurz AL. Nach der Verschmelzung mit jenem Teil der DDR-Bürgerbewegung, die als Bündnis 90 firmierte, wurden 1992 aus der AL Bündnis 90/Die Grünen. Aber nicht ganz: Ein unbeugsamer Kreisverband hörte jahrelang nicht auf, der etablierten Politik Widerstand zu leisten: die Grün–Alternative Liste Spandau.

Jetzt strichen die 141 Spandauer Grünen die „Alternative Liste“ aus ihrem Namen und nennen sich fortan „Bündnis 90/Die Grünen Berlin-Spandau“. Der neu gewählte Kreisvorsitzende Bodo Byszio – in Doppelspitze mit Constanze Rosengart – sagt, dieser Namenszusatz sei ein „Relikt der 80er Jahre“, die Welt habe sich seitdem weitergedreht. Der Grünen-Landesvorsitzende Werner Graf hat im Wahljahr zum Bundestag das Corporate Design seiner Partei im Blick, das nun auch im Kreisverband Spandau Einzug gehalten habe. Und außerdem stehe man auch als Grüne „in der Tradition der AL“.

Nur noch sechs Prozent

Da ist was dran. Laut jüngsten Umfragen kämen die Grünen bei der Sonntagsfrage bundesweit nur noch auf sechs Prozent. Statt sich Koalitionsoptionen zu wünschen, bangt die Partei langsam um den Wiedereinzug ins Parlament. Als die Berliner AL 1981 bereits 7,2 Prozent erhielt und mit Fahrradeskorte und einem BMW-V8–Oldtimer vor das Rathaus Schöneberg fuhr, lehnte sie Regierungsbeteiligungen kategorisch ab. Das politische Credo lautete viele Jahre: Das „Spielbein“ ist das Parlament, das „Standbein“ die außerparlamentarische Opposition. Die AL wollte den sozialen Bewegungen im Parlament Gehör verschaffen. Viele hatten Anfang der 1980er Jahre von den etablierten Parteien genug: Bürgerinitiativen protestierten gegen die Rodung des Tegeler Forsts für den Bau der Autobahn, Hausbesetzer demonstrierten gegen „Wohnraumvernichtung und Kaputtsanierung“. Und alle zwei Jahre mussten die Fraktionsmitglieder rotieren, denn die AL stand dem Berufspolitikertum skeptisch gegenüber.

Bis zum rot-grünen Senat 1989 war die AL Oppositionspartei. Ein Bekenntnis zum Gewaltmonopol des Staates war damals noch lange nicht Common Sense in der AL. Erst der frühere Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) hatte dieses Bekenntnis der AL abgerungen, sonst hätte es damals keine Koalition gegeben. Momper erinnerte sich an diese 22-monatige Koalition im Tagesspiegel mit den Worten: „Die Grünen können kompliziert sein. Und die Alternative Liste als Vorgängerin war noch verrückter als die Grünen.“

Einfach waren die Spandauer Grünen nie

Ein kleiner Teil der Spandauer Grünen sieht das auch heute noch nicht so. Man habe „grundständig“ mit sozialen Gruppen gearbeitet, sich nicht wie andere Parteimitglieder mit schlechten Kompromissen angedient. Dann aber seien Mitglieder nach Spandau „geschleust“ worden, die die Anhänger der AL „rausgeputscht“ hätten, sagt Ritva Harju, die 1983 in die Partei eingetreten und bis 2016 zehn Jahre in der Spandauer BVV, zuletzt als Fraktionschefin,  aktiv war.

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Einfach waren die Spandauer Grünen nie. Sie lehnten Gehaltserhöhungen für die Parteispitze ebenso ab wie die Trennung von Amt und Mandat, die heute noch Gültigkeit besitzt. Aber der innere Kern der Spandauer GAL wurde zunehmend auch zu einer Politikzelle mit „nicht mehr basisdemokratischen Strukturen“, wie ein langjähriges Mitglied erzählt. So wurde den Spandauer Grün-Alternativen vor ein paar Jahren vom Landesverband die Finanzhoheit entzogen.

Kreischef Bodo Byszio hofft jetzt auf einen Neuanfang. Nicht nur in Spandau: Die Öko-Partei muss in den nächsten Monaten um den Einzug in den Bundestag kämpfen. Ob mit AL oder ohne in ihrem Namen.

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