Berlin: Beim Haupte des Cäsaren
Bildhauer Kai Dräger verleiht einer riesigen Römer-Statue den letzten Schliff
Die Nase des Imperators ragt in die Luft. Markant gebogen und hellgrau marmoriert. Fast meint man, seinen Atem in der eiskalten Halle zu sehen, aber das ist dann doch nur Steinstaub. Bildhauer Kai Dräger arbeitet gerade mit Geratter am Haarkranz von Konstantin dem Großen. Was er da macht? „Ich zahne die Oberfläche.“ Zahnen? „Ja, ich gebe ihr mit dem Zahneisen Struktur. Mit immer feineren Hieben.“ Das habe der römische Kollege 325 nach Christus bei der Originalbüste genauso gemacht, nur mit anderen Werkzeugen. Der Gabelstapler und die computergesteuerte Steinsäge, die neben vielen halb behauenen Steinen im Großatelier herum stehen, sehen ausgesprochen heutig aus. Anders als die Bildhauerwerkzeuge Eisen, Fäustel, Meißel und Knüpfel, die hier wie vor über 1700 Jahren auf dem Kaiserkopf liegen. Zweieinhalb Monate verbringt Kai Dräger jetzt jeden Tag um die acht Stunden mit der Marmorskulptur. Er trägt Zopf, Ohrringe, Holzpantinen, Pulli und staubige Cordhosen. Das soll gegen die Kälte reichen? „Drunter hab’ ich noch so einen finnischen Strampelanzug, den mir ein Kollege empfohlen hat.“
Mit bildenden Künstlern zu reden ist nicht immer ein Spaß. Diesmal schon. Der Bildhauer aus Heiligensee beschreibt seine Arbeit weder wortkarg noch wolkig. Im Gegenteil – der muntere Mittvierziger wirkt wie eine gut geerdete Mischung aus Künstler, Handwerksmeister und Ingenieur. Dieser Kombination verdankt er auch den Zuschlag für diesen sehr speziellen Auftrag: Die Fertigung der weltweit ersten Kopie des berühmten Kopfs des Kaisers Konstantin. Drei Meter hoch ist die Marmorbüste, die unverrückbar im Innenhof der Kapitolinischen Museen in Rom steht, und mehrere Tonnen schwer. Zwölf Meter maß der komplette Kaiser, ehe der Zahn der Zeit die Statue in immer noch eindrucksvolle Fragmente zerbröseln ließ. Für die rheinland-pfälzische Landesausstellung „Konstantin der Große“ in Trier, wo das Cäsarenhaupt ab Juni zu sehen ist, wurde ein ganz bestimmter Bildhauer gesucht, sagt Sprecherin Mirjam Flender. „Einer der technisches Knowhow hat und traditionelle Handwerkstechniken beherrscht. Und davon gibt’s nur sehr wenige in Deutschland.“
Kai Dräger stammt aus Saarbrücken, gleich in der Nachbarschaft der antiken Metropole Trier. Seit 1988 lebt und arbeitet er in Berlin. „Ich hab’ mich sofort in die Stadt verliebt. Als ich das erste Mal am Funkturm vorbei fuhr, wusste ich, hier bin ich richtig.“ Ob Berlin seine Arbeit beeinflusst? „Auf jeden Fall! Mit seiner Energie und weil ich mich hier frei fühle.“ Außerdem sei Berlin die deutsche Kunstmetropole. Eine seiner Arbeiten ist die zehn Meter lange Boden-Intarsie im Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Mit seinem Atelier in dem knapp hundertjährigen, ehemaligen Straßenbahndepot am Heiligensee ging für ihn ein Traum in Erfüllung. „Früher haben die Meister und Bildhauer auch immer gleich neben der Werkstatt gewohnt.“
Den 25 Tonnen schweren Marmorblock für Konstantins Zweitkopf hat Kai Dräger letzten Sommer in Italien ausgesucht. In den Steinbrüchen von Carrara. Daher stammt auch das „weiße Gold“ für das kostbare Original, das die Römer keinesfalls für die Ausstellung rausrücken wollten. Wie er den richtigen Stein gefunden hat? „Mit dem Herzen. Okay, Farbe, Textur und wenig Risse im Stein – das muss natürlich auch stimmen.“ Der Rohblock reiste dann ins Altmühltal, wo eine Seilsäge die groben Konturen in den Marmor schnitt. Alles anhand eines 3D-Compterscans, den eine Spezialfirma schon vor einem Jahr in Rom vom Original abgenommen hatte. Die nächste Station war Schleswig-Holstein, wo Konstantin unter die Fräse kam. Und Kai Dräger ist jetzt für den letzten bildhauerischen Schliff zuständig, den Duktus des antiken Antlitzes. Das sei der Charakter, die Seele des Steins, sagt der Bildhauer. Er erzeuge sie durch Werkzeugspuren, durch Körner, die mit Druckluft auf den Stein geblasen werden und die Lasierung. Ist es nicht langweilig, ein Kopie zu machen? „Auf keinen Fall. Das Original und der Stein fordern Respekt und Disziplin. Ich muss in jede Pore des Kopfes kriechen.“ Und der Unterschied zu seiner freien künstlerischen Arbeit? „Beim Kaiserkopf bemühe ich mich, den Klang der historischen Vorlage zu finden. Bei meinen Skulpturen bestimme ich selber den Klang.“
Das Kolossalporträt ist vom 2. Juni bis 4. November 2007 im Rheinischen Landesmuseum in Konstantins erster Kaiserresidenz Trier zu sehen. Informationen über Kai Dräger und seine Berliner Bildhauerkurse gibt’s im Internet unter www.kai-draeger.com