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Die potenziellen Nachfolger von Wowereit: Jan Stöß (v.l.), Michael Müller und Raed Saleh.

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Neuer Regierender Bürgermeister: Berlin hat mehr verdient als Michael Müller

Klaus Wowereits Nachfolger muss mehr tun, als Konflikte zu moderieren: Michael Müller ist nicht der richtige Kandidat, um neue Akzente zu setzen, meint unser Gastautor Hans Stimmann.

Die Situation ist für alle Berliner und natürlich auch für die Mitglieder der SPD ungewöhnlich. Der „Spielmacher“ des Senats geht angeschlagen von BER-Flughafendesaster und Tempelhofer Volksabstimmungsniederlage vom Platz, aber nicht der Trainer, sondern die Mitglieder seines „Vereins“ stimmen über die Einwechselung ab. Natürlich hinkt der Vergleich. Eine Regierung ist kein Fußballclub und die SPD ist eine politische Partei. Über die Angemessenheit eines solchen öffentlich zelebrierten innerparteilichen Verfahrens mögen Politologen urteilen. Für das einzelne Parteimitglied entsteht ein besonderes Dilemma darin, dass jede öffentlich geäußerte kritische Bemerkung über die Eignung einzelner Kandidaten insgesamt auch der SPD, die ja 2016 die Wahl gewinnen will, schaden könnte.

Wenn ich mich im Bewusstsein dieses Dilemmas trotzdem öffentlich zu dieser innerparteilichen Wahl äußere, dann geschieht das nicht aus Lust an der politischen Kontroverse, sondern weil es darum geht, wer für die nächsten zwei Jahre Regierungschef einer Stadt wird, die in der Champions League der Weltmetropolen spielt.

Umfragen zufolge liegt der seit 2011 amtierende Stadtentwicklungssenator vorne, weil er eine große Verwaltung leitet und zuvor schon die Rolle eines Partei- und Fraktionsvorsitzenden innegehabt hat. Manche meinen, die Stadt sei nach Klaus Wowereits Art zu regieren, reif für einen Mann wie Michael Müller, einem seriösen Aktenbearbeiter, der sich bisher weder locker in der Medien- und Kulturszene bewegt und auch keine großen politischen Ideen produziert hat, aber doch ordentlich seine Arbeit erledigt.

Müller fehlen wichtige Kompetenzen

Wenn er sich als Chef der Stadtentwicklungsverwaltung im Senat in diesem Sinne als solider Umsetzer profiliert hätte, wäre ein solcher Rollenwechsel in der Spitze des Senats mindestens vorstellbar, um so die Berliner Stadtpolitik neu zu justieren, die Akzente anders zu setzen, vielleicht bundespolitisch und international stärker mitzumischen etc.

Der Kandidat, der mit seinen Erfahrungen als Ressortchef die Rolle Berlins in diesem Sinne strategisch neu auszurichten hätte, hat aber schon bei kleineren Aufgabenstellungen genau diese Kompetenz nicht gezeigt. Zwei Beispiele: Unter seiner politischen Leitung wurde die seit 1999 geplante Umnutzung und Umgestaltung des Flughafens Tempelhof per Volksentscheid gestoppt. Gestoppt wurden damit vier strategische Bausteine der Stadtentwicklung: der Bau mietpreisgünstiger Sozialwohnungen, einer Landesbibliothek, die Ausweisung von Gewerbeflächen und die Anlage eines Stadtparkes. Abgesehen davon liegt für das riesige Gebäude des Flughafens bis heute kein Nutzungskonzept vor.

Jeder weiß, dass in Berlin trotz des aktuellen Einwohnerwachstums nicht wirkliche Wohnungsnot herrscht, sondern dass es vor allem an mietpreisgünstigen, also subventionierten Wohnungen mangelt. Auch ohne Unterstützung des Senats kommen in Berlin von privaten Bauherren jährlich Tausende von Wohnungen auf den Markt. Es gibt ausreichend Grundstücke und für die Genehmigung sind die Bezirke zuständig. Was aber fehlt, ist das, was man in Berlin immer „bezahlbare Wohnungen“ nennt. Zu ihrem Bau wären auch die Wohnungsbaugesellschaften und Baugenossenschaften des Landes bereit, wenn es ein entsprechend ausgestattetes Wohnungsbauförderungsprogramm gäbe. Ein solches Programm fehlt aber bis heute und deswegen sind in den letzten Jahren in diesem Segment auch nur ein paar 100 Wohnungen fertiggestellt worden.

Wie reagiert Berlin auf die Veränderungen in Mitte?

Strategische Ressortkompetenz sieht anders aus. Man mag zur Entlastung des Kandidaten Michael Müller auf die restriktive Haltung des Finanzsenators verweisen, aber auch bei Themen, bei denen die Stadtentwicklungsverwaltung allein handeln konnte, ist nichts unternommen worden.

Hans Stimmann ist seit 1968 Mitglied der SPD, lebt seit 1970 in Berlin, war Bausenator in seiner Heimatstadt Lübeck und von 1991 bis 2007 Senatsbaudirektor bzw. Planungsstaatssekretär.
Hans Stimmann ist seit 1968 Mitglied der SPD, lebt seit 1970 in Berlin, war Bausenator in seiner Heimatstadt Lübeck und von 1991 bis 2007 Senatsbaudirektor bzw. Planungsstaatssekretär.

© picture alliance / dpa

Dazu zwei Beispiele: Die Stadtmitte verändert sich. Mit dem Bau des Humboldt-Forums ist eine enorme Aufwertung der alten Stadtmitte verbunden und Berlin wird im Zentrum noch internationaler. Rund um das Schloss entstehen neue alte Stadträume wie der Schlossplatz, die Promenade an der Spree und die BVG baut für ein paar hundert Millionen die neue U 5. Wie aber reagiert die Stadt darauf? Die Stadt diskutiert, wie schon seit dem Spreeinselwettbewerb 1994, über den Umgang mit den in der DDR ausgelöschten Geburtsorten der Stadt. Die Gründungskerne Berlins mit Petriplatz, Molkenmarkt und Neuer Markt sind bis heute Leerstellen historischer Erinnerungen und sind Tabuzonen politisch-planerischer und baulicher Aktivitäten.

Die Folge: Das Stadtganze Berlins hat auch 25 Jahre nach dem Fall der Mauer keinen Ort, an dem sich Geschichtsbewusstsein mit dem Alltagsleben und den politischen und kulturellen Ritualen einer Metropole verbinden. Eine solche komplexe Aufgabenstellung erfordert strategische fachliche und politische Kompetenz, die der Kandidat Michael Müller bisher nicht gezeigt hat. Wenn es nach ihm geht, soll der Zustand der Stadtbrache und Asphaltschneisen erst einmal so bleiben.

Weiterentwicklung Berlins: Es ist an der Zeit

Abwartend verhält sich der Stadtentwicklungssenator auch im Umgang mit dem Zustand des Kulturforums. Wie sich ältere Tagesspiegel-Leser vielleicht noch erinnern, war die Geburt des Kulturforums eine politisch-strategische Reaktion des Senats von West-Berlin mit Willy Brandt an der Spitze auf die Abriegelung der Mitte mit ihren Kultur- und Museumsbauten. Ohne B-Plan-Verfahren entschied der Senat sich zum Bau der Philharmonie und der Neuen Nationalgalerie. Kultur und Architektur waren Teil eines Kulturkampfes der beiden Systeme. Bis zur Entscheidung über den Bau des Humboldt-Forums wurde nie wieder so mutig über Kultur und Stadtentwicklung entschieden.

Die Zeiten haben sich geändert und die Landschaft der Kulturbauten muss gesamtstädtisch betrachtet werden. Wären 25 Jahre nach dem Mauerfall nicht Anlass genug, endlich mit der unserer Zeit gemäßen Weiterentwicklung zu beginnen? An den Besitzverhältnissen würde es nicht scheitern, auch nicht an entsprechenden Planungen. Die Ursache für die unwirtliche Brache zwischen Mies, Stüler, Scharoun und Gutbrod liegt in der Unentschlossenheit, das 2005 vom Senat beschlossene Konzept umzusetzen oder weiterzuentwickeln. Wer erst als Fraktionsvorsitzender und dann als Stadtentwicklungssenator diese Aufgabe liegengelassen hat, von dem kann man wohl kaum ernsthaft erwarten, dass er sich als Regierender und Kultursenator energisch und kompetent etwa in die die Stadt bewegende Debatte über die Erweiterung der Nationalgalerie einmischt.

Fazit: Ein Kandidat, der mit Tempelhof gescheitert ist, das Thema der Förderung preisgünstiger Mietwohnungen nur verbal beschwört, die Mitte und das Kulturforum nur beobachtet, aber nicht handelt, hat wohl kaum das Potential neue Akzente der Stadtpolitik zu setzen. Die Stadt hat als internationale Metropole mehr verdient als nur die Moderation politischer Konflikte.

Dem Parteivorsitzenden Jan Stöß fehlt zwar die Leitungserfahrung großer Verwaltungen, er hat aber als Parteivorsitzender neue Akzente gesetzt. Er plädiert für 5000 Sozialwohnungen pro Jahr, will die Mitte urbanisieren und das Kulturforum in den Mittelpunkt seiner Politik als Regierender und Kultursenator stellen.

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