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Der geringe Überblick erschwert die Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz.

© dpa/ Marijan Murat

Schüler und ihre Berufswahl: Berliner Achtklässler sollen zum "Talente-Check"

Um ihre Fähigkeiten für spätere Berufe besser erkennen zu können, sollen Achtklässler in Berlin eine "Potenzialanalyse" bekommen. Die Methode hat der Senat in Österreich entdeckt.

Berlins Achtklässler sollen künftig zum „Talente-Check“: Industrie- und Handelskammer, Bildungsverwaltung sowie die Arbeitsagentur planen nach Tagesspiegel-Informationen eine neue Form der Berufs- und Studienorientierung. Demnach sollen alle Schüler des achten Jahrgangs einen mehrstündigen Parcours durchlaufen, um anschließend eine „Potenzialanalyse“ zu erhalten, wie Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) das Ziel umreißt. Vorbild ist ein Projekt der Wirtschaftskammer und Schulbehörde in Salzburg.

Berlin möchte von den positiven Erfahrungen der Österreicher profitieren. Seit vielen Monaten laufen bereits Vorbereitungsgespräche: „Es wird zwischen den drei potenziellen Partnern ausgelotet, wie das Vorhaben für Berlin umgesetzt werden kann“, hieß es auf Anfrage. Allen Beteiligten seien sich einig, dass die Jugendlichen früher als bisher ihre Stärken kennenlernen müssten, um fundierter ihre Entscheidung für das Betriebspraktikum in Klasse 9 fällen zu können und nicht nach dem Zufallsprinzip vorzugehen. Letztlich soll damit auch erreicht werden, die hohen Abbrecherquoten in Ausbildung und Studium zu senken.

„Es geht um eine bessere Passung“, erläutert ein Berufsberater, „denn viele Jugendliche wissen nicht, was sie können und was sich hinter den Berufen verbirgt.“ Berlins Bildungsverwaltung hat schon länger ihr Interesse signalisiert und dafür gesorgt, dass das Vorhaben den Weg in die rot-rot-grüne Koalitionsvereinbarung fand: „Durch Maßnahmen wie den 'Talente-Check' erhalten die Schüler der achten Jahrgangsstufe eine Rückmeldung über ihre Talente und mögliche Berufswünsche“, heißt es in der Vereinbarung. Nach Auffassung von Scheeres „bettet sich das Projekt in das Landeskonzept zur Berufs- und Studienorientierung ein“, das die gleichen Ziele verfolgt, aber noch nicht effektiv genug ist.

9000 Ausbildungsplätze unbesetzt

Der Leidensdruck ist hoch: Gerade erst wurde von der Agentur für Arbeit in Berlin bekannt gegeben, dass aktuell rund 9000 Ausbildungsstellen unbesetzt sind, während noch über 10 000 Jugendliche nach ihrem frisch erworbenen Schulabschluss ohne Anschlussperspektive sind – besagte Passung stimmt auch hier nicht. Wenn man dann noch das Problem der vielen Ausbildungsabbrüche hinzunimmt, wird schnell klar, dass IHK, Agentur für Arbeit und Senat gleichermaßen Interesse daran haben, dass sich hier etwas ändert.

Der Grundgedanke des Talente-Checks besteht darin, die Chancen der Jugendlichen zu verbessern, indem sie sich selbst besser kennenlernen. Zu diesem Zweck durchlaufen sie in Salzburg einen Parcours, an dessen Stationen sie ihre Stärken herausfinden sollen: Da geht es um Feinmotorik, räumliches Vorstellungsvermögen, Merkfähigkeit, technisches oder kaufmännisches Verständnis, kognitive Fähigkeiten und vieles mehr. Das Ergebnis wird den Achtklässlern nicht sofort, sondern erst nach einer intensiven Auswertung im Beisein ihrer Eltern durch einen mit den Tests vertrauten Psychologen erläutert.

Ebenso könnte es auch in Berlin ablaufen. Aber zunächst muss geklärt werden, woher das Geld kommt, das etwa für den Aufbau des Parcours notwendig ist und in Salzburg von der Wirtschaftskammer investiert wurde. Ob dies in Berlin vergleichbar abläuft, muss die neu gewählte Vollversammlung der IHK entscheiden.

Vielen fehlt genaue Vorstellung vom Beruf

Wie groß die Lücke ist, die zwischen der Schule und dem Schritt in die Ausbildung klafft, zeigt ein Blick in den Brennpunktbezirk Mitte. Hier gaben die Sekundarschulen bei einer Umfrage die Auskunft, dass nur jeder 20. Zehntklässler in eine duale Ausbildung übergeht. Für rund 50 Prozent hieß es, dass sie in die Arbeitslosigkeit gehen oder „Maßnahmen besuchen, die nicht zu einem Berufs- oder Bildungsabschluss führen".

Aber selbst wenn es gelingt, einen Ausbildungsvertrag abzuschließen, sind damit die Probleme bei Weitem nicht gelöst: Jeder vierte Berliner Betrieb gab bei der jüngsten IHK-Ausbildungsumfrage als Grund für nicht besetzte Lehrstellen an, dass die jungen Leute den Vertrag gelöst hatten. Ausbildungsabbrecher aber sind nach den Erfahrungen der österreichischen Wirtschaftskammer „statistisch gesehen dreimal öfter arbeitslos als jemand, der eine Ausbildung beendet hat“. Zu den Abbrecherzahlen passt ein weiteres Phänomen, dass drei von vier Betrieben als Ausbildungshemmnis benennen: die „zu unklaren Berufsvorstellungen“.

Bei all diesen Problemen soll der Talente-Check ansetzen, wobei auch Scheeres weiß, dass er nur ein „Baustein“ zu einer besseren Berufs- und Studienorientierung (BSO) sein kann, denn in den wenigen Stunden können nur Impulse gegeben werden, die dann von den „BSO-Teams“ der Schulen und von den Eltern aufgegriffen werden müssen.

Hinzu kommt als Problem, dass es mit dem Herausfinden der eigenen Stärken nicht getan ist, wenn generell „Leistungsbereitschaft, Motivation und Belastbarkeit zur Ausbildungsreife fehlen“, wie die IHK-Betriebe feststellen. Andererseits gibt es die berechtigte Erwartung, dass mit Leistungsbereitschaft, Motivation und Belastbarkeit eher zu rechnen ist, wenn der Jugendliche ein echtes Interesse an seinem Fach hat.

Die Expertin für berufliche Bildung der Grünen, Stefanie Remlinger, begrüßte am Sonntag die Idee, von den österreichischen Erfahrungen zu profitieren, warnte aber angesichts der vielen bereits existierenden Angebote – darunter der Erlebnisparcours „Komm auf Tour“ – vor einer „gewissen Unübersichtlichkeit in diesem Bereich". Da müsse der Talente-Check „gut eingepasst“ werden.

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