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Ein OP im Bettenhochhaus auf dem Charité-Campus Mitte.

© Kitty Kleist-Heinrich

Exklusiv

"Verschieben der Eingriffe ist nicht lange zu tolerieren": Berliner Charité operiert bestimmte Kinder trotz Notbetriebs

Wegen vieler Covid-19-Patienten hat Berlins Universitätsklinik andere Fälle verschoben. Nach Druck von Eltern werden nun Säuglinge mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten operiert.

Trotz aktuellen Notbetriebs wollen Ärzte an der Charité bestimmte Kleinkinder operieren. Konkret geht es um Säuglinge, die von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten betroffen sind. Damit sind angeborene Fehlbildungen gemeint, die nur durch mehrfaches Operieren korrigiert werden können. Eltern betroffener Kinder hatten sich mit einem eindringlichen Schreiben schon Ende November an den Charité-Vorstand und Senat gewandt. Der Brief liegt dem Tagesspiegel vor.

Auf Anfrage sagte ein Sprecher der landeseigenen Universitätsklinik: "Korrekturen von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind in der engen Definition kein Notfall, dennoch ist aufgrund des stetigen Wachstums im jungen Kindesalter ein Verschieben eines indizierten Eingriffes nicht lange zu tolerieren." Die hohen Fallzahlen an Covid-19 erkrankten Patienten führten zwar zum aktuellen Notfall-Programm. "Dennoch werden Operationen von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten ermöglicht." Kinderchirurgen stimmten dazu Termine ab.

Anfang November hatte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) die wichtigsten Kliniken Berlins angewiesen, planbare Eingriffe zu verschieben, um Ressourcen für Covid-19-Patienten freizuhalten. Die Anweisung gilt für die 38 Notfallkrankenhäuser der Stadt, von denen viele vom Coronavirus betroffene Berliner versorgen. Darunter insbesondere die Charité.

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Schon in den ersten Wochen der Pandemie im Frühjahr waren planbare Operationen verschoben worden, um für Covid-19-Fälle gewappnet zu sein. Die Eltern der von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten betroffenen Kinder schreiben: "Es handelt sich hierbei um Operationen, die zwar für wenige Wochen verschiebbar sind, nicht jedoch monatelang. Dutzende Kinder warten noch immer auf ihre Operation, die während des ersten Lockdowns hätte stattfinden sollen."

Die zentrale Notaufnahme der Charité vor dem bekannten Bettenturm.
Die zentrale Notaufnahme der Charité vor dem bekannten Bettenturm.

© Christoph Soeder/dpa

Werden die Defekte nicht behandelt, ist die frühkindliche Sprachentwicklung beeinträchtigt. "Die ersten Lebensmonate legen die Bausteine für die gesamte Entwicklung der Kinder und tragen damit entscheidend dazu bei", heißt es in dem Brief, "das grundgesetzlich verankerte Recht auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit überhaupt ausüben zu können." Bekannt ist, dass Kinder, die nicht oder zu spät operiert werden, ein Leben lang unter Sprechschwierigkeiten leiden können. Auch erfolgreiche Behandlungen von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten haben - da sie Jahre dauern können - oft psychische Folgen.

Die Charité reduzierte die allgemeine Versorgung ab November sukzessive, ab 17. Dezember sprach der Vorstand von einem "Notbetrieb", der bis 10. Januar gelte. Nur die Rettungsstellen bleiben für Notfälle offen, auch zeitkritische Tumor-Operationen führen Charité-Ärzte noch durch - in Einzelfällen gilt dies nun auch für Kleinkinder mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten.

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Im Charité-Vorstand ist seit diesem Montag offiziell Martin Kreis für die Krankenversorgung zuständig. Der Chirurg folgt auf den Internisten Ulrich Frei, der wie berichtet in den Ruhestand ging. "Neben der gemeinsamen Bewältigung der Covid-19-Pandemie ist es mir ein Anliegen, die Aspekte der Krankenversorgung im Sinne unserer 'Strategie 2030 – Gesundheit neu denken' weiterzuentwickeln", sagte Kreis am Montag. Berlins Landeschef Michael Müller (SPD), der auch Wissenschaftssenator ist, will die Stadt zur Medizinmetropole aufzurüsten. Die Charité soll dabei der Nukleus eines "Silicon Valley der Gesundheitswirtschaft" sein.

Jedes dritte Bett auf den Berliner Intensivstationen in Berlin ist mit Covid-19-Patienten belegt. An der Charité, die besonders schwere Corona-Fälle behandelt, werden 150 dieser Patienten intensivmedizinisch versorgt. Die meisten müssen beatmet werden.

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