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Berliner Engagement gegen Genitalverstümmelung: Desert Flower Center in Zehlendorf immer stärker gefragt
Im Krankenhaus Waldfriede werden immer mehr Mädchen und Frauen aus Afrika und Asien behandelt, deren Klitoris und Vulvalippen komplett weggeschnitten wurden. Ärztin Cornelia Strunz wurde jetzt für ihren Einsatz geehrt.
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„Ich bin oft die erste Person im Leben, mit der sich die Frauen über all das austauschen können, was sie alles traumatisches erlebt haben“, sagt Cornelia Strunz. Die Oberärztin leitet seit 2013 die Sprechstunde im „Desert Flower Center“ im Krankenhaus Waldfriede (DFC Waldfriede) in Steglitz-Zehlendorf.
Zu ihr wagen sich Frauen aus Somalia und Guinea, aus Kenia und Ägypten, inzwischen auch aus Irak, Iran und asiatischen Ländern, die Opfer von Genitalverstümmelung geworden sind: Ihnen wurden als Kind die Klitoris, oft auch die kleinen und großen Vulvalippen mit Rasierklingen oder scharfen Steinen ohne Betäubung weggeschnitten, teils werden sie bis auf ein kleines Loch für Urin und Menstruationsblut zugenäht.
Kein Lustempfinden, keine Schwangerschaft
Ihre Patientinnen haben kein Lustempfinden, sie haben keinen Geschlechtsverkehr, sie können nicht schwanger werden, leiden unter großen körperlichen und seelischen Problemen. Ihre Odyssee beginnt im Alter von vier bis 14 Jahren. Für sie hat Strunz auch eine Selbsthilfegruppe initiiert.

© Annette Kögel/Annette Kögel
„Diese Frauen sind für mich die wahren Heldinnen, denn sie sind mutig genug, mich anzurufen und sich Hilfe und Unterstützung zu holen“, sagte die 53-jährige Fachärztin für Chirurgie und Gefäßchirurgie im Berliner Rathaus. Dort ist die aus einer Arztfamilie stammende Berlinerin mit dem „Heldinnen-Award“ der Alice-Schwarzer-Stiftung ausgezeichnet worden.
Wir wurden als weiße elitäre Europäerinnen beschimpft, wir sollten uns raushalten.
Alice Schwarzer über den Beginn des Engagements gegen Genitalverstümmelung
„Als wir in der ,Emma’ 1977 das erste Mal über Genitalverstümmelung berichtet haben, wurden wir als weiße elitäre Europäerinnen beschimpft“, erinnert sich Frauenrechtlerin Alice Schwarzer in Berlin. „Wir sollten uns aus anderen Kulturen raushalten.“ Mit ihrem Preis wolle sie Themen wie dieser schweren Verletzung der Menschenrechte Aufmerksamkeit verschaffen. Sie sei glücklich darüber, dass sie Akteurinnen wie Cornelia Strunz Anerkennung und Ermutigung zukommen lassen könne, so Schwarzer.

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Teile der Klitoris bei Operation rekonstruiert
„Fast alle Frauen, die sich bei uns vorstellen, kamen ursprünglich als Migrantinnen aus Afrika“, sagt die Ärztin Cornelia Strunz. Fast 900 Mädchen und Frauen haben sich in dem Zehlendorfer Krankenhaus seit Gründung vorgestellt, rund 300 Patientinnen sind operiert worden.
Die Eingriffe nimmt Uwe von Fritschen im Waldfriede vor, Chefarzt der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie vom Helios Klinikum Emil von Behring in Berlin. Tiefer liegende Teile der Klitoris werden bei der Operation so rekonstruiert, dass die Frauen möglichst wieder Lust empfinden können. Oft können die Patienten nach der Operation auch wieder ohne Beschwerden ihre Blase entleeren.

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Gegründet hat das DFC Waldfriede der Chefarzt vom Zentrum für Darm- und Beckenbodenchirurgie und heutige Ärztliche Direktor des Krankenhaus Waldfriede, Roland Scherer, mit Bernd Quoß, Vorstand des Krankenhauses Waldfriede.
Die Anfragen beim Zehlendorfer Team rund um Cornelia Strunz nehmen zu, dank Mundpropaganda, Netzwerken und Internet. In Deutschland ist „Female Genital Mutilation“ (FGM) eine Straftat. Vollzogene oder drohende Genitalverstümmelung sind Gründe für Asylanerkennung.
Beschneiderinnen werden eingeflogen
Aktuell leben in Deutschland rund 75.000 genitalverstümmelte Mädchen und Frauen, weitere 20.000 sind von solch einem Gewaltakt akut bedroht. Viele davon flüchten in Ballungszentren wie Berlin. Weltweit gibt es nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation 250 Millionen Opfer.
„Wir sehen, dass Mädchen bei Besuchen im Heimatland beschnitten oder dass Beschneiderinnen hierher eingeflogen werden“, sagt Strunz. „Ich habe bei meinen Besuchen in Kenia lernen dürfen, dass die Eltern ihren Töchtern gar nichts Schlimmes antun möchten, im Gegenteil.“

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Nicht beschnittene Frauen gelten in vielen Ländern als nicht komplett, nicht heiratswürdig, sie werden verstoßen. Dies weiß auch Evelyn Brenda, sie wirkt im Zehlendorfer Krankenhaus in der psychosozialen Beratung und als Dolmetscherin für beschnittene Frauen. Im „Desert Flower Center“ gibt es seit diesem Jahr mit Aissata Cissé-Kultus auch eine Psychologin und Sexualtherapeutin..
Ich hasse es, immer noch um meine Würde und meinen Wert als Frau kämpfen zu müssen.
Waris Dirie, Ex-Top-Model, Autorin, UN-Sonderbotschafterin und Schirmherrin des Desert Flower Center Berlin
Künftig sind weitere Studien geplant zu dem Thema, über das Strunz, Fritschen und Scherer bereits ein Buch geschrieben haben. Anlässlich der Ehrung betonte die Staatssekretärin der Senatsjustizverwaltung, Esther Uleer, dass die Trägerinnen des Heldinnen-Awards für die Werte stünden, für die auch Berlin wirke, wie Gleichberechtigung und Menschenwürde.
Die zweite in Berlin ausgezeichnete Frau, die studierte Sozialarbeiterin Virginia Wangare Greiner, vor allem ehrenamtlich mit ihrem Verein „Maisha“ aus Frankfurt am Main engagiert, appellierte, es müsse mehr staatliche Unterstützung gegen dieses Verbrechen an Frauen geben.
Unvergesslich wird der Berliner Appell des aus Somalia stammenden Ex-Models, „Wüstenblume“-Autorin, UN-Sonderbotschafterin und selbst Opfer von Genitalverstümmelung, Waris Dirie. Die Schirmherrin des Desert Flower Center Berlin sagte in ihrer Laudatio auf Cornelia Strunz sichtlich bewegt: „Ich hasse es, nach 40 Jahren immer noch hier zu stehen und um meine Würde, meinen Wert als Frau, gegen Diskriminierung durch Männer und die Gesellschaft kämpfen zu müssen.“
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