
© dpa/Michael Brandt
Berliner Polizei setzt auf „Super Recognizer“: „Wir werden so ein bisschen wie Aliens betrachtet“
Im Zeitalter der Überwachungskameras und sozialen Medien werden professionelle Gesichtserkenner für die Polizei immer wichtiger. Deshalb haben sie nun eine eigene Einheit gegründet.
Stand:
Es ist der 25. Januar 2020. In den Neukölln Arcaden wollen zwei Mitarbeiter eines Geldtransports routinemäßig einen Geldautomaten auffüllen. Plötzlich werden sie vom 22-jährigen Giuseppe T. mit Reizgas attackiert. Zwei Mittäter stehlen daraufhin Geldkassetten im Wert von 166.000 Euro. Die Täter flüchten ins Unbekannte, doch Videokameras halten den Raubüberfall fest. Die Berliner Staatsanwaltschaft steht vor einer langen, komplizierten Ermittlung.
Und schaltet schließlich Claudia ein. Die Beamtin hat eine besondere und nahezu einzigartige Fähigkeit: Sie ist eine sogenannte Super Recognizerin. Als solche hat sie die Gabe, sich nicht nur außerordentlich gut Gesichter einprägen zu können, sondern diese auch nahezu perfekt noch Jahre später präzise zuzuordnen. Durch den Einsatz dieser Spezialisten können Ermittlungen deutlich effizienter ablaufen.

© dpa/Michael Brandt
Deshalb hat die Polizei am Mittwoch zu einer Pressekonferenz geladen, um Claudia, wie sie ihre Kollegin getauft haben, vorzustellen. Ihr richtiger Name und ihr Gesicht sollen nicht in der Öffentlichkeit auftauchen – zum Schutz der Beamtin und um Ermittlungen nicht zu gefährden. Claudia führt die Einheit der Super Recognizer der Berliner Polizei an. Im Mai 2023 startete eine Pilotphase, die nun abgeschlossen ist. Mit Erfolg: Im Schnitt bearbeitet die Einheit 85 Fälle im Monat.
Zunächst hatten dazu vorher etwa 1500 Mitarbeiter der Polizei an einem mehrstufigen Testverfahren teilgenommen. Zum weltweit ersten Mal auch mit authentischem Polizeimaterial. Dort wurde festgestellt, ob sie die gleiche Begabung wie Claudia besitzen. Denn: Als Super Recognizer wird man geboren, erlernen kann man diese Fähigkeit nicht.
Von den 1500 Teilnehmern wurden schließlich 22 als Super Recognizer ausgemacht. Fünf davon arbeiten nun in der neu geschaffenen Einheit. Diese können bei Fällen aller Art dazugeholt werden: von Ordnungswidrigkeiten bis hin zu Kapitaldelikten.
Aufgrund des empirischen Testverfahrens, bei dem ermittelt wird, ob es sich wirklich um Super Recognizer handelt, können deren Aussagen nun auch vor Gericht verwendet werden. Allerdings kann das Verfahren aus Datenschutzgründen von den Landespolizeien anderer Bundesländer nicht verwendet werden. Und das, obwohl auch andere Behörden an dem Test interessiert seien, wie LKA-Vize-Chef Stefan Redlich versichert.

© dpa/Michael Brandt
Erstmals wissenschaftlich bewiesen wurde das Phänomen der Super Recognizer eher zufällig im Jahr 2009. Eigentlich wollten die britischen Forscher Richard Russell, Brad Duchaine und Ken Nakayama das Phänomen der Gesichtsblindheit tiefer verstehen. Menschen mit dieser Erkrankung haben starke Schwierigkeiten, Gesichter zu erkennen.
Bei ihrer Versuchsreihe stießen sie schließlich auf vier Probanden, die außergewöhnliche Fähigkeiten hatten, Gesichter zu erkennen, sie sich einzuprägen und sie zuzuordnen. Jedoch zählt das Forschungsfeld immer noch zu den Neueren in der Neurowissenschaft. „Es gibt noch keine empirischen Ergebnisse in Bezug auf Vererbbarkeit, aber Indizien. Es wird noch viel geforscht“, sagt Meike Roman, die gemeinsam mit der Polizei das Testverfahren entwickelt hat.
Claudia hat schon in ihrer Kindheit bemerkt, dass sie Personen besser erkennt und sie sich besser merkt als die Menschen um sie herum. „Wir werden so ein bisschen wie Aliens betrachtet und manchmal fühlt man sich selbst auch ein wenig so“, sagt die Polizistin. Schon mit sechs Jahren hat sie, so erzählt sie bei der Pressekonferenz, Gesichter gezeichnet. Je älter sie wurde, desto detaillierter wurden sie.
Schließlich ging sie zur Polizei und ist dort nun schon mehr als 30 Jahre im Einsatz. Schon bevor das Programm der Super Recognizer offiziell eingeführt wurde, setzte die Beamtin ihre Fähigkeiten in Ermittlungen ein.
Für Claudia reichen wenige Gesichtsmerkmale
Diese zu erklären, fällt ihr nach wie vor schwer. „Ich kann dann immer nur sagen: Tut mir leid, ich sehe es halt“, so die Polizistin. Inzwischen hat sie das Landeskriminalamt, gemeinsam mit ihren vier Kollegen, auch schon bei größeren Ermittlungen unterstützt, wie etwa den Ausschreitungen in der Silvesternacht 2023/2024.
Vor fünf Jahren hatte sich Giuseppe T. für Claudia in den Neukölln Arcaden quasi wie von selbst verraten. Durch sein Kinngrübchen, seine kleine, leicht gewölbte Mundpartie und seinen auffälligen Nasenflügel erkannte ihn die Beamtin wieder. Nach der Sichtung von 40 Fotos und Videos war sich Claudia schließlich sicher. Und T. wurde zu acht Jahren Haft verurteilt.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: