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Zwei Jugendliche halten Plakate beim Schulstreik gegen die Wehrpflicht in den Händen.

© Lea Fiehler

Berliner Schulstreik gegen den Wehrdienst: „Ich will nicht, dass mein kleiner Bruder eingezogen wird“

Rund 3000 Menschen sind zu einer Schüler-Demonstration gegen den Wehrdienst gekommen. Auch Eltern unterstützten den Protest. Viele fühlen sich von der Politik übergangen.

Von Lea Fiehler

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Es wird eng auf dem Platz rund um das Hallesche Tor in Berlin-Kreuzberg. Die Bühne, eigentlich die Ladefläche eines Pickup-Trucks, wird weiter nach hinten geschoben und ein Stück der Straße gesperrt, um den Demonstrierenden mehr Platz zu geben.

Rund 3000 Teilnehmende sind am Freitag zum „Schulstreik gegen Wehrdienst“ gekommen – wenige Stunden nach der Verabschiedung des Wehrdienstmodernisierungsgesetzes im Bundestag. Jugend- und Schülerorganisationen hatten deutschlandweit zum Protest aufgerufen, mehr als 80 Städte waren angemeldet.

Tausende nahmen an der Demonstration teil.

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Ein junger Mann mit schwarzem Haar und Trainingsjacke tritt ans Mikrofon. Shmuel ist sein Name. Der 16-Jährige hat den Schulstreik für Berlin mitorganisiert. Gleich wird er die Eröffnungsrede halten, so etwas hat er vorher noch nie gemacht. „Hallo?“, sagt er zögerlich ins Mikrofon, in der Hand einen Zettel mit Notizen.

Ab dem 1. Januar sollen alle 18-jährigen Männer einen Fragebogen erhalten, in dem ihre Bereitschaft für einen Dienst bei der Bundeswehr abgefragt wird. Männer müssen den Fragebogen ausfüllen, für Frauen ist das freiwillig. Die Musterung ist für junge Männer verpflichtend, die Möglichkeit der Verweigerung bleibt bestehen. Shmuel will die Entscheidung der Bundesregierung nicht akzeptieren, wie die meisten hier.

Will nicht in den Krieg ziehen: der 16-jährige Shmuel.

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„Wehrdienst, nein danke!“ steht auf einem Schild, „Mustert meine Eier“ auf einem anderen. Shmuel hat die Nervosität abgeschüttelt, spricht jetzt mit fester Stimme zur Menschenmasse vor ihm: „Sie reden von Demokratie, aber die Wehrpflicht dürfen wir nicht entscheiden. Sie reden von Mitbestimmung, aber hören uns nicht zu“, sagt er. „Wir wollen über unsere Zukunft selbst entscheiden.“

„Ich hatte gehofft, dass wir dieses Kapitel überwunden haben“

Aus dem Publikum kommen Jubelrufe und Applaus. Nicht nur Schüler sind zur Demonstration gekommen. Da ist auch Elisabeth, die nicht will, dass ihr 15-jähriger Sohn in den Krieg muss. Avi, 34, der sich um seine drei jüngeren Brüder sorgt. Er sei selbst noch gemustert worden und habe gehofft, „dass wir dieses Kapitel überwunden haben“, sagt er. Da ist Uwe, ein 66-jähriger Lehrer im Ruhestand, der schon bei Fridays for Future gemeinsam mit seinen Schülern geschwänzt habe.

Im Gedränge zieht ein Mann einen Edding aus seiner Jackentasche und schreibt seiner neunjährigen Tochter seine Handynummer auf den Arm, falls sie im Gedränge verloren geht. Ihre erste Demo? „Die Tausendste!“, sagt das Mädchen.

Alle 18-jährigen Männer sollen künftig gemustert werden.

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Doch die meisten Teilnehmenden sind Schüler, schätzungsweise zwischen 15 und 18 Jahre alt. Teenager, die Zigaretten drehen und Club Mate trinken. Manche mit Irokesen-Haarschnitt und schwarzem Eyeliner, andere schick zurechtgemacht, mit kleinen Handtaschen unterm Arm.

Lukas ist mit seinem jüngeren Bruder gekommen, der nur „Snickers“ genannt werden will. Beide seien politisch aktiv, sagen sie. „Ich will nicht, dass mein kleiner Bruder eingezogen wird“, sagt Lukas. „Ich bin genau in dem Jahrgang, kein Bock drauf“, sagt der 17-jährige „Snickers“. Zwischen „Nicht unser Krieg, nicht unser Militär“-Rufen und wehenden Flaggen tauschen sich zwei Jungs über die Ergebnisse der gestrigen Mathearbeit aus. Ein Mädchen erzählt ihren Freundinnen von ihrem ersten Kuss.

Auf die Straße gegen den Wehrdienst – die Demoteilnehmer wollen sich von der Politik nichts vorschreiben lassen.

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Viele von ihnen fühlen sich von der Politik übergangen. „Verarscht“, nennt es Shmuel, der sich „nicht rumkommandieren lassen“ will. Nach seiner Rede mischt er sich unter die Menschen, bevor die Demonstration weiter in Richtung Oranienplatz zieht.

Er könne sich vorstellen, das jetzt öfter zu machen, sagt Shmuel. Er überlegt schon, was er bei seiner nächsten Rede besser machen will. „Das ist unser erster Streik, aber es wird nicht unser letzter sein!“, ruft ein Sprecher von der Bühne, so laut, dass ihm fast die Stimme wegbricht. Und gleich noch einmal, als wolle er sicher gehen, dass ihn auch wirklich jeder gehört hat.

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