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Taxifahrer-Romantik in Zeiten vor Uber: Was übrig geblieben ist von der goldenen Ära
Vor der Jahrtausendwende war die Taxi-Welt noch in Ordnung? Unser Autor räumt mit einigen Mythen auf. Leszek Nadolski, Chef der Berliner Innung, will jungen Menschen seinen Job nicht mehr empfehlen.
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Die Berliner Taxi-Innung feiert am Freitag ihr 125-jähriges Jubiläum und schaut zurück auf Zeiten, in denen das Taxifahren für die Fahrerinnen und Fahrer noch aufregend war. Nächte um die Ohren schlagen, hinfahren, wo was los ist, „frei sein“ war Teil der Jobbeschreibung. Inzwischen ist nicht mehr viel Freiheit da, so scheint es.
Wer winkt denn heute noch ein Taxi heran oder steigt spontan in eins ein? Das Geschäft ist ruhiger als früher, die Umsätze geringer, und es ist irgendwie steril, also unpersönlicher, geworden: Die Gäste buchen ihre Fahrten am liebsten per App auf dem Smartphone. Gegen diese Entwicklung kann die ehrwürdige Innung nichts ausrichten. Wie viel ist übriggeblieben vom Mythos Taxi?
Fragt man Leszek Nadolski, den Vorsitzenden der Innung, was ihn im Beruf hält, antwortet der: Die Geschichten natürlich. Er höre sie alle, „wer mit wem und so“. Einmal hatte er einen Priester kutschiert, der sah jedenfalls so aus, und aus Jux sagte Nadolski, er sei ein Ungläubiger. Der Priester wollte ihn bekehren, erzählt Nadolski und lacht. „Ich bin Pole, ich habe ihn nur aufgezogen.“

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Die Menschen erzählen – und Nadolski passt seine Rolle dem Fahrgast an. Bis heute habe sich daran kaum etwas geändert.
Er entschied sich fürs Taxileben
Das war es auch, was ihn 1994 zum Taxifahrer werden ließ. Gute Zeiten seien das gewesen, damals um die 2000er-Jahre, erzählt er. Der gebürtige Pole wollte den Taxitraum leben, entschied sich für den Job, obwohl er eine sichere Anstellung in einer Fabrik hatte. Der Betrieb langweilte ihn, jeden Tag das Gleiche, Nadolski wollte frei sein. Zum Ärger seiner Frau, die mit den Kindern zu Hause blieb.

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Später soll sie gesagt haben: „Es war das Beste, was du getan hast.“ Denn das Geschäft funktionierte, 15 bis 20 Fahrgäste pro Schicht habe er gefahren. Inzwischen seien es deutlich weniger. Wer heute Taxi fährt, kutschiert meist Kranke und Alte zu Arztterminen. Krankentransport nennt sich das und wird von den gesetzlichen Krankenkassen teils erstattet.
Jetzt ist Nadolski 60 und mindestens ein bisschen resigniert. Nicht mal mehr 200 Mitglieder hat seine Innung noch. Vor 25 Jahren waren es mehr als 1000. „Die jungen Leute haben keine Lust auf Gewerbevertretung, denen reicht eine Facebook-Gruppe“, sagt er.
Und obwohl er sich nichts sehnlicher wünscht, als dass ihn die Innung überleben möge, mit einem frischen Anführer, „um die 40, vielleicht 50“, hat er ein ambivalentes Verhältnis zu seiner Branche. Er würde jungen Menschen nicht zum Taxifahren raten, viel zu viel Stress. Doch selber davon lassen kann er nicht. Das macht vielleicht den Mythos Taxi aus. Als Unternehmer kann man frei sein, ist aber Teil einer stolzen Gruppe, bleibt unter Kolleginnen und Kollegen.
Der Mythos muss sterben
Die Sache mit der Freiheit war im Taxi ehrlicherweise schon immer relativ. Die Betriebe sind private Unternehmen, ihre Tarife aber legen Behörden fest. Frei im wirtschaftlichen Sinne sind die sogenannten Mietwagen, deren Autos heute von Uber und Bolt vermittelt werden. Die Preise allerdings bekommen sie von deren Algorithmen aufgepfropft. Die Folge: viel Kundschaft, aber oft Dumpingpreise.
Die jungen Leute haben keine Lust auf Gewerbevertretung, denen reicht eine Facebook-Gruppe.
Leszek Nadolski, Erster Vorsitzender der Innung des Berliner Taxigewerbes
Nicht alle Veränderungen können jedoch den Plattformkapitalisten Uber, Bolt und Freenow zugeschrieben werden. Es ist nur logisch, dass diese Firmen digitale Technik nutzen, um die Rufzentralen zu entthronen, die in Berlin bemerkenswerterweise ein Monopol besitzen.

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Bereits vor Uber und Co. hatte das Taxigewerbe nur bedingt mit freier Marktwirtschaft zu tun. Und: Im Jahr 2017 soll jedes zweite Taxi in Berlin bei der Steuer betrogen haben. Der Stundenerlös eines Fahrzeugs beträgt derzeit zwischen 16 und 20 Euro, fast 6000 Wagen sind in der Hauptstadt zugelassen. Da liegt der Verdacht nahe, dass das hinten und vorne nicht aufgeht, dass sich viele Taxen noch immer mit schwarzen Touren etwas hinzuverdienen. In den vergangenen Jahrzehnten hatte es mehrmals „Taxischwemmen“ gegeben.
Das klassische Taxi kann schlecht alten Glanz wiederfinden, den es nie gegeben hat. So ist das mit Mythen. Und Missstände wirken mit dem Blick von heute in den Rückspiegel kleiner, als sie wirklich sind: So war Taxifahren auch in den wilden 80ern oft Niedriglohnarbeit. Oder Selbstversklavung: Alleinfahrer wie Leszek Nadolski, Ein-Mann-Betriebe, die praktisch rund um die Uhr unterwegs sind, müssen keinen Mindestlohn zahlen, weil es sich um Selbstständige handelt. Sie leben/lebten die Idee eines freien, aufregenden Taxilebens vielleicht am ehesten. Aber ihre Zahl geht Monat für Monat zurück.
Wird der Mythos Taxi, wie man ihn über Jahrzehnte kannte, sterben? Wahrscheinlich. Aber ein Teil der Magie dieses Berufs kann fortbestehen. Und gute Geschichtenerzähler bleiben viele Fahrerinnen und Fahrer – egal, ob man sie heranwinkt, über die Zentrale ruft oder über eine App bucht.
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