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VBS4 ist eine militärische Trainings- und Simulationsplattform, die realistische 3D-Umgebungen für taktische Übungen bietet.

© Accenture

Digitales Schlachtfeld in Berlin: Mitten in Kreuzberg wird für den Krieg der Zukunft trainiert

In Berlin führt die Unternehmensberatung Accenture militärische Manöver durch – ohne scharfen Schuss, aber mit Datenströmen. Was an Computerspiele erinnert, soll die Streitkräfte modernisieren.

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Panzerketten schneiden durch das nasse Moor der Provinz Finnmark im Norden Norwegens, Kampfjets zeichnen schmale Schweife in die Dämmerung, und an den Fjorden kreuzt ein Flugzeugträger der Nato. Auf einer Karte leuchten taktische Symbole, Kommandeure geben Befehle. Allerdings ist das Manöver nicht real, sondern eine komplexe digitale Simulation in Berlin-Kreuzberg.

In einem speziell gesicherten Raum im Macherei-Quartier betreibt die Unternehmensberatung Accenture ein sogenanntes Defense Lab. Hier, erklärt Kevin Thiele, der eine Abteilung für Verteidigung und Zivilschutz leitet und zu vor als Offizier bei der Bundeswehr diente, lassen sich komplexe Gefechtssituationen in Echtzeit nachstellen. Nicht als Spiel, sondern als Übung für reale Entscheidungen.

VBS4 ermöglicht Streitkräften, Einsätze zu planen, Szenarien durchzuspielen und Entscheidungen in virtuellen Gefechtsfeldern zu trainieren.

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Thiele sieht darin eine Antwort auf ein strukturelles Problem der Bundeswehr: Daten und Trainingsumgebungen lägen zu oft isoliert in sogenannten Silos, viele Systeme sprächen nicht miteinander. Daraus entstünden Schwierigkeiten in Kommunikation, Ausbildung und Beschaffung.

Daten werden gemeinsam genutzt

Thiele meint, die Lösung gefunden zu haben. Die soll nicht aus einen einzigen Tool bestehen, sondern aus einer Verbindung spezialisierter Anwendungen, die gemeinsam eine komplexe Simulation entstehen lassen. Drei Bausteine stehen für Accenture im Mittelpunkt.

Zuerst VBS4, eine hochauflösende, dreidimensionale Umgebung, die ein Gefechtsfeld visuell und physikalisch abbildet und darin Einzel- und Gruppenbewegen ermöglicht. Die Simulation erinnert nicht ohne Grund an ein Computerspiel. Der Hersteller entstand 2001 aus der tschechischen Gaming-Schmiede Bohemia Interactive.

Kevin Thiele ist bei Accenture im deutschsprachigen Raum für Verteidigung und Zivilschutz verantwortlich.

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Der zweite Bestandteil heißt Masa Sword und ist eine Kommandostabs-Simulation, die Lagebild, Entscheidungsprozesse und das strategische Planen aus der Perspektive von Stäben darstellt.

Die dritte Software, SitaWare, bietet eine kartenbasierte Oberfläche für Befehlsführung, Nachrichtenaustausch und die Verbindung unterschiedlicher Ebenen. Mit ihr können Missionen geplant und Befehle verwaltet werden. Die drei Anwendungen werden bei der Bundeswehr zwar bereits genutzt, aber nicht in Verbindung miteinander.

Mit den Systemen ist es auch möglich, das Verhalten computergesteuerter Einheiten anzupassen. So können etwa Gegner erstellt werden, die systematische Kriegsverbrechen begehen und zum Beispiel gezielt Sanitäter angreifen. Das erhöht den Realismus.

Im Accenture Defense Lab fließen die Geodaten, Sensormeldungen und Einheitszustände über einen gemeinsamen „Digital Backbone“ zusammen, erläutert Thiele. Am Ende liefert VBS4 die visuelle Welt, Sword die abstrakte Ebene für Führungsentscheidungen, SitaWare stellt die operative Kommandoebene und die Nachrichtenflüsse dar.

Virtueller Panzer rollt über den Übungsplatz

Aus dieser Verzahnung könnte laut Thiele eine neue Qualität der Übung entstehen, wenn sie denn bei der Truppe eingeführt würde: Ein Infanterist könne sich beispielsweise auf einem Übungsplatz bewegen und dabei in einer Augmented-Reality-Brille im realen Gelände einen Panzer sehen, der nur virtuell dort ist.

Masa Sword ist eine militärische Simulationssoftware zur Ausbildung, Entscheidungsunterstützung und strategischen Planung für Streitkräfte.

© Accenture

Die Panzerbesatzung säße weit entfernt in ihrer Kaserne in einem Simulator. In einem Gefechtsstand, der wiederum an einem anderen Ort ist, könnten Offiziere Lagebilder und Drohnenstreams analysieren, um den Einheiten Aufträge zu erteilen.

Die Übung würde dadurch nicht nur realistisch, sondern auch flexibel umsetzbar: ganze Verbände, Stäbe und technische Systeme könnten parallel miteinander trainieren, ihre Interaktion würde nachvollziehbar gemacht und digital ausgewertet.

Die Finnen sind uns um Jahre voraus.

Kevin Thiele, Verteidigungsexperte bei Accenture

Kevin Thiele geht jedoch noch einen Schritt weiter: Er sieht in der Simulation ein Instrument für das Beschaffungswesen. Anstatt detaillierte, starr formulierte Ausschreibungen zu schreiben, könnten Anforderungen modelliert und dann Anbietermodelle der Hersteller in der Software geprüft werden.

Die Rüstungshersteller würden Produktattribute liefern, Reichweiten, Kosten, Nutzlasten; die Simulation könne früh zeigen, ob ein System die geforderte Funktion wirklich erfüllen kann. So, argumentiert Thiele, könne die Bundeswehr Zeit sparen, Marktrealität prüfen und Innovationsspielraum öffnen.

Ob und, wenn ja, in welchem Umfang die Bundeswehr solche Plattformen tatsächlich übernimmt, bleibt allerdings abzuwarten. Andere Staaten nutzen ähnliche Simulationssysteme bereits deutlich intensiver. Vorbild ist für Thiele vor allem ein nordischer Staat: „Die Finnen sind uns um Jahre voraus“, sagt er.

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