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Vergangene Woche protestierten viele Beschäftigte gegen die Pläne der Geschäftsführung von TikTok Germany.

© REUTERS/Claudia Doerries

Update

TikTok eskaliert nach Streik in Berlin: Content-Moderatoren sollen von KI ersetzt werden

Für drei Jahresgehälter Abfindung und zwölf Monate Kündigungsfrist streikten die betroffenen Beschäftigten einen Tag. Geschäftsführung lehnt Verhandlungen ab und will Einigung vor Arbeitsgericht.

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Boot statt Büro, Megafon statt Moderationssoftware: Diesen Mittwoch wurde die Spree zur Protestbühne. Rund 100 TikTok-Beschäftigte in Berlin legten die Arbeit nieder – und rund 60 von ihnen fuhren mit einem Streikboot direkt an ihrer Geschäftsführung vorbei. Mit Blick aufs Wasser dürfte die Botschaft schwer zu übersehen sein.

Hintergrund des eintägigen Warnstreiks sind Pläne des Unternehmens, zentrale Abteilungen in der Hauptstadt abzuwickeln. Mehr als 150 Jobs in der Trust-and-Safety-Abteilung sollen wegfallen, weitere rund 15 im Live-Team. Die betroffenen Beschäftigten sichten, melden und moderieren Inhalte oder unterstützen Video-Creators bei Fragen.

TikTok will die Moderation künftig verstärkt von Künstlicher Intelligenz übernehmen lassen und Aufgaben an externe Dienstleister im Ausland auslagern – zu schlechteren Bedingungen, kritisiert die Gewerkschaft Verdi, die zum Streik aufgerufen hat.

„Wir haben die Systeme trainiert“

Die Kritik der Beschäftigten ist deutlich: Viele von ihnen waren daran beteiligt, die Systeme zur automatisierten Inhaltsprüfung zu trainieren – und sehen sich nun von diesen ersetzt. Der Protest am Mittwoch steht deshalb unter dem Motto „We trained your machines – pay us what we deserve!“ („Wir haben eure Maschinen trainiert – zahlt uns, was wir verdienen!“).

Die Forderungen: drei Jahresgehälter Abfindung pro Person sowie eine Verlängerung der Kündigungsfrist um zwölf Monate. TikTok habe noch in der Nacht zu Mittwoch in einer Mail mitteilen lassen, dass sie Verhandlungen ablehnen, so Verdi. Nachdem die Geschäftsführung letzte Woche noch mitteilen ließ, dass man sich in Gesprächen mit dem Betriebsrat befinde, wurde jetzt seitens TikTok die nächste Eskalationsstufe eingeleitet. Kommenden Montag soll seitens des Arbeitgebers eine Einigungsstelle beim Arbeitsgericht angerufen werden und so die Vorgänge, also auch die Kündigungen, beschleunigen. Verdi kündigte an, dass der Montag ein weiterer Streiktag wird. Eine Kundgebung vor dem Arbeitsgericht ist schon in Planung.

Für viele der Betroffenen geht es um mehr als eine Abfindung. Da ein Teil der Belegschaft aus dem Ausland stammt und mit befristetem Aufenthaltsstatus in Berlin lebt, könnte der Verlust des Arbeitsplatzes auch rechtliche Folgen haben. Die Forderungen der Gewerkschaft zielen deshalb auch auf Planungssicherheit und Zeit für berufliche Neuorientierung.

TikTok will effizientere Abläufe

Die Streikaktion startete am Morgen – nicht vor dem Firmengelände, sondern auf dem Wasser. Eine Bootstour vorbei am Firmensitz an der Stralauer Alle auf der Spreeseite. Im Anschluss gab es eine Kundgebung an Land. Sichtbar sein – das ist erklärtes Ziel der Aktion, die gezielt mit der Unsichtbarkeit der digitalen Arbeit bricht. Zumal eine gewerkschaftliche Organisierung von Beschäftigten in der Digitalwirtschaft oft noch nicht tief verankert ist.

Verdi warnt vor den Folgen des geplanten Umbaus: Content-Moderation sei keine rein technische Aufgabe. Der Umgang mit Hassrede, Falschinformationen und traumatisierenden Inhalten erfordere kulturelles Feingefühl und psychologische Betreuung – beides drohe beim Outsourcing auf der Strecke zu bleiben. „Es ist respektlos von TikTok, dass sie sich jeder sozialen Verantwortung entziehen und selbst Verhandlungen mit uns ablehnen“, erklärt Lucas Krentel, stellvertretender Landesfachbereichsleiter für Medien bei Verdi Berlin-Brandenburg.

Der Streik könnte Signalwirkung haben – nicht nur für TikTok, sondern für die gesamte Plattformökonomie. Die meisten digitalen Moderations- und Supporttätigkeiten finden im Verborgenen statt. Mit der Aktion in Berlin treten die Menschen hinter den Algorithmen zum ersten Mal in die Öffentlichkeit. Wenn auch keiner seinen Namen in der Zeitung lesen möchte.

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