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„Es muss eine erzieherische Maßnahme sein“: Berliner Ärztevertreterin fordert Härte für Termin-Schwänzer
Die KV Berlin ist genervt von Patienten, die Termine unentschuldigt verfallen lassen. Dass Privatpatienten oft schneller einen Termin bekommen als Kassenpatienten, hat laut der KV einen speziellen Grund.
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Die stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin, Christine Wessel, hat „erzieherische Maßnahmen“ gefordert, damit Patient:innen seltener einen Termin beim Haus- und Facharzt verstreichen lassen, ohne vorher abzusagen.
Jeden Tag, sagte sie am Mittwoch, kämen in ihre Praxis „mindestens fünf“ Menschen nicht zu gebuchten Terminen. Wessel ist Frauenärztin und betreibt seit 1993 eine Praxis in Berlin-Kreuzberg. „Ob wir Geld von ihnen nehmen oder ob wir keine weiteren Termine an sie vergeben: Es muss eine erzieherische Maßnahme sein und es muss wehtun. Zehn Euro machen es nicht.“
Derzeit erhalten Praxen kein Ausfallhonorar, wenn ein Patient nicht erscheint. Dadurch fehlt ein Teil der Einnahmen, mit denen sie beispielsweise die Löhne der Angestellten oder ihre Heizkosten bezahlen. Mit einer Ausfallgebühr, die Patient:innen als Strafe entrichten müssten, würde der Gesetzgeber den Praxen entgegenkommen. Diese Maßnahme wurde im Frühjahr diskutiert.
Der KV-Vorsitzende Burkhard Ruppert sagte, es sei eine politische Frage, wie das Problem gelöst werde. Er wolle lediglich die Debatte anstoßen. Wie hoch eine mögliche Ausfallgebühr sein sollte, wollte Ruppert am Mittwoch nicht sagen. Auf Linkedin hatte er vor zwei Monaten noch geschrieben: „Arztzeit ist zu wertvoll, um sie zu verschwenden – besonders bei zeitaufwendigen Terminen, die eigens für die Patient:innen freigehalten werden. Eine Ausfallgebühr für solche Fälle wäre fair und notwendig.“
Zu wenig Praxen vor allem in Marzahn-Hellersdorf
Alle Praxisärzt:innen, die gesetzlich Versicherte in Berlin behandeln, müssen der KV Berlin beitreten. Die Standesvertretung setzt sich für ihre Belange ein und organisiert die ambulante Versorgung mit Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen in der Stadt.
Nach Angaben der KV arbeiten momentan 2101 Psychotherapeut:innen, 3772 Fachärzt:innen und 2346 Hausärzt:innen in der Hauptstadt. In den meisten Bezirken gibt es genug Arztpraxen. Jedenfalls theoretisch: Die KV setzt die örtlichen Sozialdaten mit einem angenommenen Bedarf an ärztlicher Versorgung ins Verhältnis und errechnet daraus den sogenannten Versorgungsgrad.
Dieser wird in den meisten Facharztgruppen überschritten. Doch es gibt Ausnahmen, dies betrifft vor allem die Ränder und den Osten der Stadt. Marzahn-Hellersdorf ist trauriger Spitzenreiter in dem Ranking: Abgesehen von Radiolog:innen und Internist:innen fehlt es dort an Praxen fast aller Fachrichtungen. Der Versorgungsgrad mit Hausarztpraxen liegt bei lediglich 79 Prozent.
Zu wenig Termine soll es nicht geben
Insgesamt, sagte KV-Vorständin Wessel, sei die Verfügbarkeit von Terminen bei Haus- und Fachärzt:innen aber gut. Es passe ihr nicht, dass Patient:innen und Öffentlichkeit bisweilen einen anderen Eindruck haben. „Viele haben das Gefühl, ein Termin muss direkt stattfinden. Wenn eine Patientin nicht innerhalb von vier Wochen eine Behandlung bekommt, heißt es: Das dauert ja lange.“
Viele haben das Gefühl, ein Termin muss direkt stattfinden. Wenn eine Patientin nicht innerhalb von vier Wochen eine Behandlung bekommt, heißt es: Das dauert ja lange.
Christiane Wessel, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Berlin
Oft könnten die Menschen nicht einschätzen, ob sie dringend einen Arzt sehen sollten oder ob die Behandlung noch warten könne. „Manche legen ihre Versichertenkarte vor und denken, sie haben dann Anspruch auf alles, was geht“, kritisierte die Medizinerin.
Tatsächlich warten gesetzlich Versicherte meist länger auf einen Termin beim Niedergelassenen als Privatversicherte. Das zeigen Umfragen und Studien. Recherchen des Magazins „Panorama“ deckten kürzlich auf, dass Arztpraxen immer öfter Termine für „Selbstzahler“ anbieten. Kassenpatient:innen, die schneller drankommen wollen, sollen die Behandlung aus eigener Tasche zahlen.
KV-Chef Ruppert zufolge hängt diese Praxis unter anderem mit der Einführung der Bedarfsplanung und der Budgetobergrenzen in den 1990ern zusammen. Seitdem erhalten niedergelassene Mediziner:innen kleinere Honorare, wenn sie eine bestimmte Menge von Behandlungen in einem Quartal überschreiten. Weil die meisten Praxen in Berlin das regelmäßig tun – rund 80 Prozent der Hausärzt:innen und 50 Prozent der Fachärzt:innen – fehlt ihnen einen Teil der Einnahmen, mitunter von Hunderten Fällen.
„Wir müssen die kassenärztliche Medizin mit Privatpatienten quersubventionieren“, verteidigte sich KV-Vize Wessel. Die teuren Geräte, die beispielsweise Facharztpraxen anschaffen müssten, seien allein mit Kassenpatient:innen nicht mehr zu bezahlen. Der Bund hatte die Honorargrenzen 2023 für Kinderärzt:innen abgeschafft. Dieses Jahres sollen die Hausärzt:innen folgen.
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