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Isolationszimmer auf vier Rädern: Berliner Start-up entwickelt Spezialrollstuhl für immungeschwächte Kinder
Für immungeschwächte Kinder kann ein Schnupfen lebensgefährlich sein. Eine Erfindung aus Berlin gibt ihnen ein Stück Normalität zurück.
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Der kleine Ahmad trägt eine braune Bikerjacke, während er mit seinem Glockenrollstuhl geschickt über die Krankenhausflure flitzt. Seine Mutter gibt ihm Signale über ein Headset – die Glasglocke schirmt nicht nur Viren ab, auch der Schall geht schlecht hindurch.
Moby hat man das Gefährt getauft. Es gibt Patient:innen wie dem fünfjährigen Ahmad ein Stückchen Freiheit zurück. Normalerweise dürfen sie ihr Zimmer nicht verlassen, weil sie so geschwächt sind, dass ein Schnupfen schnell zur Lebensgefahr werden kann. Ahmad hat wegen eines seltenen Immundefekts vor einem halben Jahr eine Rückenmarkspende erhalten.
„Manche Kinder müssen danach bis zu einem Jahr in Isolation verbringen“, sagt die Onkologin Angelika Eggert. Geschwister oder Verwandte dürfen sie in dieser sensiblen Phase nicht sehen, ihre Eltern müssen im Zimmer besondere Schutzkleidung und einen Mundschutz tragen. Pro Jahr behandelt die Kinderklinik zwischen 40 und 50 solcher Kinder, sagt Eggert.
„Kam zum richtigen Zeitpunkt“
Dank Moby dürfen sie wieder auf die Flure und sogar ins Freie. „Es kam zum richtigen Zeitpunkt“, sagt Ahmads Mutter, Batoul Kanjo. Im Weddinger Virchow-Krankenhaus, das zur Charité gehört, ist es seit Oktober im Einsatz, einen Monat nachdem Ahmad operiert wurde.

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„Wir konnten Angehörige treffen und draußen spazieren gehen“, erzählt Kanjo, die 2016 aus Syrien nach Deutschland kam. Besonders cool findet Ahmad den Handschuh, der außen am Gerät baumelt. Er streckt seinen Arm hinein und gibt seiner Mutter ein High Five.
Das Fahrzeug ist quasi ein Isolationszimmer auf vier Rädern. Es lässt sich über einen Joystick im Innern steuern, für kleinere Kinder auch über einen zusätzlichen Joystick am Außengehäuse.
Spezielle Luftfilter schützen den Insassen vor Viren und Bakterien. Oder andersherum: Weil Moby sowohl Unter- als auch Überdruck erzeugt, kann sich auch ein Hochinfektiöser hineinsetzen und Leute treffen, ohne sie zu anzustecken. Nach jedem Einsatz wird Moby aufwendig gereinigt.
Sechs Kilometer pro Stunde
Hersteller des Fahrzeugs ist die Firma Sphaira von Janis Münch. Das Berliner Start-up baut derzeit die Serienproduktion in Baden-Württemberg auf. Vergangenes Jahr habe sie alle nötigen Klassifizierungen erhalten, die so ein Gerät im medizinischen Betrieb benötigt, erzählt er.

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Das Gerät packt laut ihm eine Höchstgeschwindigkeit von sechs Stundenkilometern. Drei Millionen Euro Entwicklungskosten seien seit 2020 in Moby geflossen. Die eine Hälfte kam von der Investitionsbank Berlin (IBB), die andere Hälfte von Angel-Investor:innen. Anstoß für die Erfindung gab die Coronapandemie.
Die Firma, die inklusive Münch zwölf Mitarbeitende hat, knüpft momentan Geschäftsbeziehungen in ganz Deutschland. Mehrere Unikliniken sollen bereits Interesse an dem Gerät haben.
An der Charité ist das erste Vorserienprodukt des Start-ups im Einsatz. Das Krankenhaus bekam es umsonst, Sphaira führt hier den Testbetrieb durch. Kinderonkologin Eggert sagt, man plane, bald eine Studie mit dem Gerät durchzuführen: Die beweist im besten Fall, dass Patient:innen mit ihm schneller genesen. Denn wer in Bewegung und aus dem Bett kommt, dessen Organe und Psyche werden angeregt. Oft entwickelten Patient:innen eine Depression in der langen Isolation, erzählt Eggert.
Künftig könnten neben immunkranken Kindern viele weitere Menschen von Moby profitieren, etwa Krebskranke oder Patient:innen nach einer Organtransplantation. Ahmad habe das Gerät in seiner Zeit im Virchow-Krankenhaus von allen Kindern am liebsten genutzt, sagt eine seiner Pflegerinnen. Seit Kurzem darf er wieder ins Freie, auch ohne den Glockenrollstuhl. Sein neues Immunsystem ist inzwischen stark genug.
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