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Lange Wartezeiten wegen Wehwehchen: Viele Berliner gehen ohne Empfehlung und auf eigene Faust in die Notaufnahme
Eine Umfrage im Auftrag der AOK zeigt: Fast niemand wählt die Rufnummer 116117, bevor er oder sie sich in die Rettungsstelle begibt. Krankenkassen und KV Berlin setzen auf die Notfallreform.
Stand:
Die Notaufnahmen in Berlin sind oft voll, weil Patient:innen mit Bagatellen im Wartebereich sitzen. Gehen die Menschen vorschnell in die Kliniken, weil sie zu zimperlich sind, oder weil sie es nicht besser wissen? Die Ergebnisse einer aktuellen Forsa-Umfrage deuten auf letzteres hin: Demnach begeben sich viele ins Krankenhaus, ohne vorher eine Ersteinschätzung eingeholt zu haben.
Befragt wurden bundesweit knapp 8500 Personen, darunter 503 in Berlin. Laut der Krankenkasse AOK, die die Umfrage in Auftrag gegeben hat, sind die Ergebnisse damit für die Hauptstadtbevölkerung repräsentativ.
So wurden 26 Prozent der Befragten, die in den vergangenen fünf Jahren mindestens einmal in die Notaufnahme gegangen sind, von einer Arztpraxis dorthin geschickt. Nur acht Prozent kamen, nachdem ihnen dies von der Rufnummer 116117 empfohlen wurde.
Notfallreform des Bundes
Wählen Hilfesuchende diese Nummer, schätzt am anderen Ende eine fachkundige Person ein, ob man mit einem Problem sofort, in ein paar Tagen oder gar nicht zum Arzt oder der Ärztin gehen sollte. Die 116117 ist auch über ein Portal im Internet zu erreichen.
Immerhin gaben drei Viertel aller Befragten an, die 116117 zu kennen. Offensichtlich besteht also eine Diskrepanz zwischen Wissen und Tun: Daniela Teichert, Vorsitzende der für Berlin zuständigen AOK Nordost, fordert deshalb, der Bund solle die Notfallreform „rasch wieder auf die Tagesordnung setzen“. Die Gesetzgebung ist liegengeblieben, nachdem die Ampelregierung 2024 zerbrach.

© dpa/Paul Zinken
Kern der vom damaligen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angeschobenen Reform ist, dass Patient:innen künftig via Ersteinschätzung am Telefon oder an einem „Notfalltresen“ vorsortiert werden. Notfälle kommen in die Rettungsstelle, andere werden zu einer Notdienstpraxis in der Nähe geschickt. Das soll die Zahl der Klinikfälle reduzieren. Krankenkassen befürworten die Reform, weil Behandlungen im Krankenhaus in der Regel teurer sind, als wenn Patient:innen zum Haus- oder Facharzt gehen.
Berlin gilt als Vorbild für die Notfallreform. In mehreren Kliniken hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin Notdienstpraxen eingerichtet, die Patient:innen außerhalb der Praxissprechzeiten aufsuchen können. KV-Chef Burkhard Ruppert wird zudem nicht müde zu betonen, dass es mehr „Patientensteuerung“ brauche. Hierzu gehört beispielsweise die Servicestelle 116117.
Ruppert schätzte im vergangenen Jahr, Berlin könnte zwei Drittel seiner 37 Notaufnahmen streichen, wenn die Leute nur richtig durchs Gesundheitssystem navigiert würden. Der Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft wies die Idee daraufhin als „realitätsfern“ zurück. Die Kliniken stellten die Versorgung sicher, „die die KV Berlin schon lange selbst nicht mehr schafft“.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass bundesweit knapp 500 Personen befragt worden seien und sich aus den Ergebnissen aufgrund der kleinen Stichprobe nicht viel ableiten lasse. Tatsächlich wurden mehr als 8500 Personen befragt, darunter 503 in Berlin. Die Ergebnisse sind somit auch für Berlin bevölkerungsrepräsentativ. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
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