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Markus Voigt.

© VBKI / Tagesspiegel

Lehren aus der Europawahl: Die vulnerable Jugend von heute

Unser Kolumnist, der Präsident Verein Berliner Kaufleute und Industrieller, deutet das Wahlverhalten der jungen Generation. Er meint: „Wir brauchen mehr GenZ-Verständnis“.

Markus Voigt
Eine Kolumne von Markus Voigt

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Zu den besonders aufrüttelnden Ergebnissen einer insgesamt aufrüttelnden Europawahl gehört das Wahlverhalten der Jung- und Erstwähler. Insbesondere die Grünen, denen das Wahlrecht ab 16 zu verdanken ist, reiben sich angesichts der herben Verluste bei den 16- bis 24-Jährigen die Augen. Minus 23 Prozent im Vergleich zur letzten Europawahl 2019! Und das bei einer Wählergruppe, die als sichere Bank galt.

Die Verwandlung der Generation Greta wirkt geradezu kafkaesk. Eben noch in Sachen Umwelt- und Klimaschutz unterwegs, scheinen die U25er kollektiv auf dem Absatz kehrt gemacht zu haben. Wer als 20-Jähriger kein Linker ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch Linker ist, hat keinen Verstand. Weisheiten wie diese scheinen pulverisiert: Mit 17 beziehungsweise 16 Prozent liegen Union und AfD in der Jungwählergunst ganz weit vorne. Die Jugend von heute: Konservativ? Rechtspopulistisch? Herzlos?

Wer die Wahlerfolge allein auf die Virtuosität zurückführt, mit der die AfD auf TikTok um junge Wählerstimmen wirbt, macht es sich zu einfach. Es gehört zur möglicherweise noch nicht in allen Parteien realisierten Wahrheit dazu, dass sich U25-Wähler nur noch in Ausnahmefällen über Wahlwerbespots im linearen TV erreichen lassen. Auch die intensive Zeitungslektüre zählt in der Regel nicht zur Morgenroutine der GenZ. Aber hinter dem politischen U-Turn der Jugend steckt mehr als reine Sender-Empfänger-Probleme. Es fehlt auch an inhaltlichen Angeboten.

Politik wird in Deutschland allzu oft für die älteren Semester gemacht.

Markus Voigt

Politik wird in Deutschland allzu oft für die älteren Semester gemacht. Das ist in der demografischen Logik begründet. Der Rentenfokus der Sozialdemokraten, die schuldenfinanzierten Visionen der Grünen, die seit Jahren vor sich hin schwelende Bildungsmisere, auch die Corona-Maßnahmen von Schwarz-Rot – alles Maßnahmen, die von den jüngeren Generationen in diesem Land geschluckt und geschultert werden müssen.

Hinzu kommt die Endzeitstimmung, in der die 16- bis 24-Jährigen aufwachsen. Klimakrise, Coronakrise, Krieg in der Ukraine. Inflation, Migration, Transformation. Keine leichte Übung, selbstbewusst und unbeschwert ins Erwachsenenleben hinauszutreten, wenn die Uhren ständig auf fünf vor 12 stehen. Zumal diese Gehversuche oft in fremdverschuldeten Sackgassen enden: Versuchen Sie mal, ein bezahlbares WG-Zimmer in Berlin oder einer anderen deutschen Großstadt zu finden!

Die vulnerable Gruppe von heute ist die Jugend. Wir alle tun gut daran, die Sorgen, Bedürfnisse und Wünsche unserer Kinder und Kindeskinder ernst zu nehmen. Wir brauchen weniger GenZ-Bashing. Wir brauchen mehr GenZ-Verständnis.

In dieser Kolumne „In der Lobby“ kommentieren Köpfe aus der Berliner Wirtschaft das politische Geschehen.

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