
© Coros/Cobe Architekten
Tausende Arbeitsplätze, aber keine Wohnungen: Das „Quartier am Humboldthain“ wird in Rekordzeit geplant
Ein neues Quartier für Wissenschaft und Wirtschaft, so groß wie kein anderes im Zentrum der Hauptstadt: Dafür legt sich Berlin richtig ins Zeug. Aber wo sollen 8000 Forscher und Fachkräfte wohnen?
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Dass hier mal Randlage war, sieht man dem Areal noch an, findet Lutz Keßels. Sicherlich, die Backsteinbauten des ehemaligen AEG-Werks nebenan, auf die schaue er gerne, sagt der Geschäftsführer des Projektentwicklers „Quartier am Humboldthain GmbH“. Der Industriecharme der denkmalgeschützten Hallen und Häuser hat auch die Architekt:innen geprägt, als sie den Masterplan für das künftige Gewerbequartier zeichneten.
Nicht ins Konzept passt dagegen die jüngere Industrievergangenheit: das ehemalige Werk des Computerherstellers Nixdorf, ein braun verspiegelter 80er-Jahre-Palast – zwischen Brunnenstraße und Gustav-Meyer-Allee gesetzt, als man noch vom „Silicon Wedding“ redete und wenig entfernt die Mauer stand.
Nixdorf-Abriss noch in diesem Jahr
„Der Bau versperrt den Zugang zum Volkspark Humboldthain und hat keinerlei Bezug zur Umgebung. Das würde man in zentralen Lagen nie so bauen“, sagt Keßels. Daneben verödet ein Parkhaus, ansonsten asphaltierte Brache.
Die Wende machte aus den 6,5 Hektar in Westberliner Randlage ein Areal im Zentrum der Hauptstadt. Das Immobilienunternehmen Coros will es zum „Quartier am Humboldthain für Wissenschaft und Wirtschaft“ entwickeln. Der Bebauungsplan dafür ist nun rechtskräftig. Ende des Jahres soll das Nixdorf-Gebäude fallen, 2030 das Quartier fertig sein.

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Bis zu 8000 Menschen sollen hier forschen und arbeiten. Die Superlative fallen beiläufig beim Gang über das Gelände: Kein anderer der elf Berliner Zukunftsorte liegt so zentral wie der Technologiepark Humboldthain, das Quartier wird ein Teil davon. Keine Gewerbeflächenentwicklung innerhalb des S-Bahn-Rings ist so groß. Und kein Bebauungsplan für ein Projekt in dieser Größe ging in Berlin in den vergangenen 20 Jahren so schnell durch.
Coros startete 2020, zwei Jahre später haben die Architekt:innen vom dänischen Büro Cobe den städtebaulichen Wettbewerb für das Areal gewonnen.
Zum neuen Bebauungsplan haben mir viele gesagt: Das dauert zehn Jahre. Aber es hat großartig funktioniert. Berlin kann schnell, wenn es will.
Lutz Keßels, Geschäftsführer des Projektentwicklers Quartier am Humboldthain GmbH
Geplant sind nun sechs fünf- bis zehngeschossige Neubauten, außerdem vier Hochhäuser mit maximal 60 Meter Höhe, gruppiert um einen Park mit Teich. Gewerbe soll sich auf 234.000 Quadratmetern Fläche ansiedeln. Im Technologiepark Humboldthain sitzen nebenan bereits Fraunhofer-Institut und die Bauingenieure der TU Berlin, zudem Technologieunternehmen aus den Sparten Energie, Verkehr, Life Science, Medizin. Charité und Bayer haben Standorte in der Nähe.
„Wir sehen hier das Cluster aus Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft“, sagt Keßels. Aber auch Flächen für Produktion sowie 12.000 Quadratmeter für Gastro, Freizeit und Kultur sind im Plan.

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Wohnen lässt das neue Baurecht hier, mitten im Wedding, nicht zu. Das Land Berlin erlaube auf der Fläche nur Gewerbe, heißt es vom Projektentwickler auf Nachfrage. Zwar war vor allem der Bezirk Mitte für den neuen Bebauungsplan zuständig, die Quartierfläche aber habe die Senatsverwaltung für Wirtschaft als übergeordnete Behörde schon im Stadtentwicklungsplan für Gewerbe und Produktion reserviert. Und solche Ansiedlungsflächen gibt man dort nicht gern aus der Hand.
1,3 Prozent Wachstum erwartet Berlin für seine Wirtschaft in diesem Jahr. Arbeitsplätze sollen in der Stadt gehalten werden, damit der Pendelverkehr an den Rand nicht zu stark wird, sagt Keßels.

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Die Entscheidung, Wohnen gänzlich auszuschließen, wirft Fragen auf. Gerade ist der „Bauturbo“ in Kraft getreten. Er erleichtert es Kommunen, Wohnungsbau auch dort zuzulassen, wo Bebauungspläne aus Zeiten eines entspannteren Wohnungsmarkts das nicht vorsehen.
An anderen Berliner Projekten, etwa im Fall der Urbanen Mitte, drängen Abgeordnete Entwickler nachträglich dazu, Wohnungen einzuplanen.
Mitarbeiterwohnungen hätten Unternehmen womöglich anziehen können
Hier am Humboldthain könnte das technisch möglich sein. Lärm, der gegen einen Mix aus Wohnen und Gewerbe spricht, müssen die Entwickler ohnehin vermeiden. Entlang der Brunnenstraße grenzen Wohnhäuser an: Zu drei Viertel muss die Fläche lärmarm entwickelt werden, heißt es vom Projektentwickler.

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Wären Wohnungen für Unternehmen nicht gar ein Argument gewesen, sich anzusiedeln? Immerhin will der Standort Tausende Fachkräfte anziehen. „Man bekommt in Berlin gerade eher einen Job als eine Wohnung“, sagt Keßels. „Darauf muss Berlin eine Antwort finden.“
Man bekommt in Berlin gerade eher einen Job als eine Wohnung. Darauf muss Berlin eine Antwort finden.
Lutz Keßels, Geschäftsführer der Quartier am Humboldthain GmbH
Die Pressestelle des Bezirks Mitte betont auf Anfrage, dass Wachstum in Berlin auch bedeute, Gewerbeflächen zu stärken. Und weist zugleich in Richtung Senat: Dies gelte „besonders für Bereiche, in denen das Land Berlin eine gewerbliche Entwicklung mittels übergeordneter Planungen und senatsbeschlossener Pläne forcieren möchte.“
Was macht das Innovationsquartier mit den Mieten in der Nachbarschaft?
Noch ist die Brunnenstraße laut Mietspiegel eine „einfache“ Wohnlage. Für die Mieten in der Nachbarschaft erwartet Keßels keine unmittelbaren Auswirkungen. „Wir haben festgestellt, dass die Leute, die hier im Technologiepark arbeiten, nicht nur in der Gegend wohnen, sondern überall – von Reinickendorf bis Kreuzberg.“
Und: Die umliegenden Wohnungen seien besetzt. „Wenn eine frei wird, dann kostet sie schon heute mehr als 20 Euro pro Quadratmeter, ob hier 8000 Leute arbeiten oder nicht. Das ist ein Problem, aber das können wir als Entwickler nicht lösen.“

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Auch Auswirkungen auf den Verkehr haben die Entwickler prüfen lassen: „Die Straßen, aber auch der öffentliche Nahverkehr mit dem Bahnhof Gesundbrunnen, der S-Bahn Humboldthain und der U-Bahn Voltastraße sind leistungsfähig genug für unser Vorhaben“, sagt Lutz Keßels.
In Mitte kämen nur 18 Prozent der Menschen mit dem Auto zur Arbeit. Eine neue Tiefgarage soll 600 Pkw-Stellplätze fassen, 1200 für Fahrräder. Das bestehende Parkhaus wird abgerissen. „1200 Stellplätze für Autos braucht hier kein Mensch“, sagt Keßels.
Ein verstecktes Gewerbegebiet soll zum lebendigen Kiez werden
Im Oktober 2024 ist die Sparkasse aus dem Nixdorf-Bau ausgezogen, geblieben ist eine tote Fläche mit Zaun, im Block versteckt hinter Häuserreihen. Auch wenn hier niemand wohnen wird, will Keßels einen „lebendigen Kiez“ entwickeln. Das Projekt werde das verschlossene Gelände öffnen, betont auch der Bezirk, Einzelhandel im Erdgeschoss und Park zu einer „hohen Aufenthaltsqualität“ führen.
Ich kann verstehen, dass manche Sorge vor einer Neubauarchitektur haben.
Lutz Keßels, Geschäftsführer der Quartier am Humboldthain GmbH
„Ich kann verstehen, dass manche Sorge vor einer Neubauarchitektur haben“, sagt Keßels, „aber wir haben hier einen Park, wir haben nebenan denkmalgeschützten Bestand, wir haben hochwertige Fassaden, die darauf Bezug nehmen. Und wir sind deutlich kompakter als zum Beispiel die Europacity.“

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Auf sechs Veranstaltungen haben sie und der Bezirk vorab mit Anwohner:innen gesprochen. Erster Wunsch: Der Zaun soll weg. Dazu hat sich der Eigentümer verpflichtet. Und: Ein Nahversorger fehle, nach etwas Hin und Her mit Bezirk und Senat ist der nun erlaubt. Dem Nixdorf-Bau weine zudem wohl keiner nach, meint Keßels. Dass der für manchen aussehe wie ein kleiner Palast der Republik, höre er zum ersten Mal.
Und dass Abriss und Neubau CO₂ freisetzen? „Wir hätten ihn auch umgenutzt“, sagt Keßels, „aber das Gebäude ist zu tief, die Belichtungssituation problematisch.“ Überhaupt: „Trotz der getönten Glasfassade heizt sich das Gebäude auf, deshalb hat es eine große Klimaanlage auf dem Dach. Das ist eine Energieschleuder.“
Im Voraus hat das Quartier ein Platin-Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen bekommen, wichtig für die Vermarktung. Regenwasser soll im Boden versickern, versiegelte Flächen werden sie für den Park aufreißen.
In Berlin stehen immer mehr Gewerbe- und Bürogebäude leer. Sorge, dass auch hier zu wenige Unternehmen hinwollen oder sich das Projekt wie andere Zukunftsorte – zuletzt die Entwicklung des Ex-Flughafens Tegel – ins Ungewisse verzögert, hat Lutz Keßels nicht: „Die Urban Tech Republik hat auch ein super Konzept, aber es gibt leider keinen U-Bahn-Anschluss. Andere Gewerbegebiete haben nicht die Nähe zum Zentrum und die Urbanität dieses Ortes.“
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