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Das Yorck-Kino in Kreuzberg ist eine der bekanntesten Berliner Arthouse-Spielstätten.

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„Wir verbinden Kultur und Wirtschaft“: Yorck-Chef Bräuer über Programmkinos

Die pandemiebedingte Kinokrise ist noch nicht vorbei. Arthouse-Kinos brauchen weitere staatliche Hilfen, sagt der Berliner Kinobetreiber.

Stand:

Herr Bräuer, wie wichtig ist nach den Coronajahren die erste normale Berlinale für den Kinomarkt?
Enorm. Wir müssen nicht mehr erklären, wie sicher der Kinobesuch ist. Und es gibt wieder Raum für die persönliche Begegnung vor und nach den Filmen. Das ist für das Festival so wichtig wie für die Branche. Vor allem strahlt die Berlinale in die ganze Stadt, daher ist auch die Reihe Berlinale Goes Kiez so wichtig. Denn die Berlinale steht auch für Kino als Teil der Stadtkultur. Die Berlinerinnen und Berliner gehen während des Festivals auf Entdeckungstour.

Haben sich die Leute nicht an das Streaming zu Hause gewöhnt?
Ich glaube nicht. Hinterm Streaming stehen globale Geschäftsmodelle, mit denen die unabhängige Kinowirtschaft nicht mithalten kann. Aber Streaming bedient andere Bedürfnisse als das Kino als Teil der lokalen Gemeinschaft und mit der Kraft des öffentlichen Geschichtenerzählens. Daher bin ich überzeugt von der Zukunft des Kinos. Viele, die anfangs noch zögerten, sind in den letzten Wochen zurück ins Kino gekommen. Die großen Filme liefen zum Teil sogar besser als vor der Pandemie.

Das betrifft die Blockbuster der Kinoketten, aber nicht die Filme in den Arthouse-Kinos.
Ausnahmen bestätigen diese Regel. Triangle of Sadness lief auch bei uns sehr gut. Das Bedürfnis nach Filmen und nach Kultur ist groß. Wir sehen dabei vor allem den Wunsch nach Events, gerade auch bei jungen Leuten, die sicher alle Zugänge zu Streaming-Plattformen haben.

Was für Events?
Das kann eine Premiere sein, ein Filmfest oder eine bestimmte Reihe spezieller Filme an einem Ort.

Dann gibt es also keine pandemiebedingte Kinokrise?
Doch. Im letzten Jahr lag der Markt ungefähr ein Drittel unter dem Niveau vor Corona. In Berlin war der Rückgang nicht ganz so stark, die Berliner sind also schneller wieder ins Kino gegangen. Und dieses Jahr hat sehr gut begonnen, doch es fehlt noch die Nachhaltigkeit. Was wir noch stärker brauchen als zuvor, sind exzellente Filme. Zu Haus zappe ich mich durch und suche Zerstreuung. Kino bedient ein anderes Bedürfnis, und wenn wir tolle Filme haben, dann kommen die Leute. Aber es ist für den Arthousefilm schwieriger geworden, sich durchzusetzen.

Warum?
Arthousefilme haben geringe Marketingbudgets. Hier liegt es besonders auch an uns Kinos, sie bekannt zu machen. Dafür müssen wir immer stärker auch die digitalen Kanäle bedienen und den Austausch mit den Kinogängern verstärken. Und gerade kleine Filme leben von Events. Das kostet Geld. Daher benötigen wir einen Paradigmenwechsel in der Filmförderung, damit auch die Kinos erhalten bleiben. Sonst hat der Arthousefilm, das kleine Event mit 50 bis 100 Leuten keine Chance. Von diesen leben aber die Kieze, die Filme und die Filmtheater. Auch unsere 14 Arthouse-Kinos in Berlin.

78
Prozent der Berliner gingen vor Corona mindestens einmal ins Kino

Womöglich sind das zu viele.
Das ist doch gerade ein Asset der Hauptstadt. Keine andere Stadt der Welt hat so viele Arthouse-Kinos wie Berlin. Das schafft eine einzigartige Programmvielfalt. Kein anderes Kultur- und Freizeitangebot erreicht so viele Menschen in der Hauptstadt – 2019 waren 78 Prozent mindestens einmal im Kino. Das ist doppelt so hoch wie im Bundesschnitt.

Zeigt Yorck die richtigen Filme?
Wir kuratieren sorgfältig, das Publikum schätzt es, und für das Programm erhalten wir viele Auszeichnungen. Rein betriebswirtschaftlich gesehen sind Blockbuster rentabler. Aber wir haben uns bewusst gegen Avatar entschieden. Bei den Bezugsbedingungen hätten wir den Film wochenlang zeigen müssen und andere Filme nicht spielen können. Wir haben uns für die Vielfalt entschieden. Dafür stehen wir. Doch wir müssen für die Filme immer mehr tun. Programmarbeit, Events, Marketing, da stoßen wir Arthousekinos an Grenzen. Ohne Unterstützung werden wir die kulturelle Vielfalt so nicht erhalten können.

Christian Bräuer ist Geschäftsführer der Yorck-Kino GmbH in Berlin und der Programmkino Ost GmbH in Dresden.

© Yorck Kinogruppe/Andi Weiland

Was hätten sie gerne?
Wir Arthousekinos haben eine Wunschliste beim Senat abgegeben, damit das Kino als Teil der Kiezkultur erhalten bleibt. Jetzt nach der Pandemie ist der richtige Zeitpunkt dafür. Auch in der Bundesfilmförderung muss sich was bewegen. Die Franzosen haben dafür ein gezieltes Förderprogramm, lassen sich die Sichtbarkeit von Programmvielfalt etwas kosten. Das zahlt sich für alle aus. Mehr Kinos, mehr Besucher, mehr Filmkultur. Im Gesamteffekt spült das viel Geld zurück.

Müssten Sie ohne öffentliche Hilfe Kinos schließen?
Das wollen wir unbedingt vermeiden. Aber derzeit sitzen wir in der Kostenfalle. Im Vergleich zu 2019, dem letzten Jahr vor Corona, sind unsere Kosten um 30 Prozent gestiegen, vor allem die Energie- und Personalkosten. Diese höheren Kosten können wir aber so nicht einfach weiterreichen.

Warum nicht?
Wir haben in Berlin viel Stammkunden und Familien mit eher niedrigen Einkommen, von denen viele nicht mehr kommen, wenn wir das Ticket um 30 Prozent erhöhen. Der Wettbewerb ist auch größer als in anderen Städten, sodass wir sehr behutsam sein müssen bei der Preisgestaltung. Arthouse steht für die Verbindung von Kultur und Wirtschaft. Doch in der gewohnten Form wird der Arthousemarkt insgesamt – auch die Filmverleihbetriebe - nicht durchhalten, es ist Zeit, die Förderung ganzheitlicher aufzustellen.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth will die Filmförderung neu gestalten und die Kinos einbeziehen.

© Breuel-Bild/Jason Harrell

Mehr Events kann Yorck auch ohne staatliche Hilfe organisieren.
Das machen wir auch. Wir gelten auch international als eines der innovativsten Unternehmen in der Branche und haben als einer der Ersten den digitalen Kundenkontakt etabliert. Die Filmfreunde vertrauen uns und erwarten, dass wir die richtigen Filme auswählen. Im letzten Jahr haben wir zum Beispiel mit In the Mood eine Reihe für asiatische Filme aufgebaut, das funktioniert ausgezeichnet. Kinos sind Teil der Nachbarschaft und die müssen wir pflegen. Wir leben in einer digitalen Zeit und bieten im Kino einen analogen Raum, wo sich viele Menschen zur gleichen Zeit treffen.

Verdi bestreikt die Yorck-Kinos während der Berlinale. Wie bitter ist das?
Wir haben uns viel Mühe gegeben in den Tarifverhandlungen und im vergangenen Jahr bereits ein Angebot gemacht, das über dem Tarif liegt, den Verdi mit Cinemaxx abgeschlossen hat. Und mit Cinestar hat Verdi sogar nochmal unter dem Cinemaxx-Tarif abgeschlossen. Warum wir als Arthouse-Kino mehr zahlen können sollen als die Kinoketten, verstehe ich nicht. Am meisten schmerzt jedoch, dass die Strategie von Verdi die Firma innerlich zerreißt und Mitarbeitende in Loyalitätskonflikte geraten. Erfreulich ist, wie viele Beschäftigten uns zur Seite stehen, das Verhalten der Gewerkschaft kritisieren.

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Warum haben Sie nicht längst einen Kompromiss gefunden?
Weil die Verhandler von Verdi nicht wollten, sondern es auf einen Streik während der Berlinale angelegt haben. Es geht offenbar nicht um eine Verständigung, sondern um eine Kampagne mit dem Ziel, neue Gewerkschaftsmitglieder zu gewinnen.

Mit 12,50 Euro Einstiegslohn zahlt die Yorck-Gruppe nicht gerade üppig.
Die Verdi-Tarifverträge mit den internationalen Multiplexeketten sehen Einstiegslöhne von 12,05 bis 12,10 Euro vor. Wir haben die Löhne im letzten Sommer um rund 20 Prozent erhöht und zahlen mehr als die großen Ketten. Zuletzt haben wir eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 0,25 Euro pro Stunde gezahlt, liegen also bei 12,75 Euro. Dann hat Verdi zusätzliche Forderungen aufgestellt. Insgesamt soll das Lohnniveau in etwa 15 Prozent über dem der Verdi-Tarifverträge mit den Ketten liegen. Das ist wirtschaftlich nicht tragbar.

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