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Sergiu Celibidache übernahm 1945 die Leitung der Berliner Philharmoniker.

© imago images/Heinz Gebhardt

Erinnerung an Sergiu Celibidache: Feuerkopf, Querulant, Zen-Meister

Die Berliner Autorin Kirsten Liese hat Zeitzeugen befragt, die den legendären Dirigenten Sergiu Celibidache noch erlebt haben.

Von Frederik Hanssen

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Sergiu Celibidache ist eine Legende – und der wunde Punkt in der Geschichte der Berliner Philharmoniker. Wilhelm Furtwängler hätte den Rumänen gerne als seinen Nachfolger gesehen, doch das Orchester wählte 1954 stattdessen Herbert von Karajan zum Chefdirigenten. Tief gekränkt wandte sich Celibidache von den Berlinern ab, erst 1992 kommt es auf Vermittlung von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zu einem einzigen Versöhnungskonzert.

Nach Stationen in Stockholm und Stuttgart wird „Celi“, wie ihn seine zahllosen Bewunderer nennen, 1979 zum Musikchef der Münchner Philharmoniker berufen. Bis zu seinem Tod 1996 wird er sie führen – und mit ihnen seinen unverwechselbaren Spätstil entwickeln. „Man will nichts, man lässt entstehen“ lautet sein Motto – in der Praxis bedeutet dies, dass er Extreme ausreizt, sein Orchester sowohl unendlich leise als auch radikal langsam spielen lässt. Was besonders seinen Umgang mit den Sinfonien Anton Bruckners zum Ereignis macht.

Karajan stach ihn bei den Berliner Philharmonikern aus

Die Berliner Autorin Kirsten Liese hat in den vergangenen Jahren Musikerinnen und Musiker befragt, die Sergiu Celibidache noch erlebt haben – und ihre Antworten jetzt zu einem Buch zusammengeführt, das ein sehr differenziertes, ja fast verwirrend vielseitiges Charakterporträt des Maestro entwirft. Historisch gibt es mindestens drei Celis: Den Feuerkopf, der im Nachkriegsberlin begeistert, den Choleriker und Querulanten der mittleren Jahre und den weisen Zen-Meister, dem es nur noch darum geht, in die tiefsten Schichten der Partituren vorzudringen.

Doch auch innerhalb jeder Lebensphase wird der Dirigent von den Orchestermitgliedern extrem unterschiedlich wahrgenommen, als unübertroffen souveräner Musikhandwerker, als Lichtgestalt unter den Interpreten und treusorgender Vater seiner Orchesterfamilie, aber eben auch als ein Mann, der emotional unkontrolliert explodiert, wenn ihm etwas nicht passt, der über Dirigentenkollegen lästert und sagt: „Ich habe 6000 Schüler gehabt und nicht einen, der die Geduld, die Bescheidenheit und den Fanatismus hatte, wirklich zu durchschauen, was das alles ist.“

Konzertmitschnitte lehnte Sergiu Celibidache ab, wohlwissend, dass Mikrofone und Kameras nicht in der Lage sein würden, seine Art des auratischen Musizierens adäquat einzufangen. Kirsten Lieses Buch ist ein Plädoyer dafür, diesen Solitär unter den Dirigenten als einen kompromisslosen Künstler in Erinnerung zu behalten, dessen Charakterzüge zweifellos problematisch waren, dem es aber bei allen Exzessen ausschließlich um die bestmögliche Aufführung der klassischen Meisterwerke ging, und nicht um sich selbst.

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