
© Lena Laine
Mendelssohns „Elias“: Das Ende der Propheten
Die Berliner Philharmoniker spielen unter der Leitung von Kirill Petrenko Mendelssohns Oratorium „Elias“.
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„Die Ernte ist vergangen, der Sommer ist dahin“: Felix Mendelssohn Bartholdy lässt sein Oratorium „Elias“ mit einer verheerenden Dürre anheben, die im dritten Jahr mit alttestamentarischer Wucht über das Land gekommen ist. Unter fahlen, leicht fiebrigen Orchesterklängen trauert das Volk um verdurstende Säuglinge und verhungernde Kinder.
Die Stimmung unter den Menschen ist fern von Trost, zutiefst zerrissen und jederzeit bereit, von der eigenen Ohnmacht in eine wütende Anklage hinüberzustolpern. Irgendjemand muss die Schuld an dieser Umweltkatastrophe tragen. Eine Eröffnung, wie sie berührender, heutiger kaum sein kann.
Kirill Petrenko und seine Berliner Philharmoniker haben auf ihrer gemeinsamen Reise, die sie künftig zu mehr Werken von Mendelssohn führen soll, mit dem „Elias“ ein bewegendes Etappenziel erreicht. Das Oratorium war im 19. Jahrhundert so beliebt, dass es allerlei übelwollende Kritiker auf den Plan rief, in Niedertracht angeführt von Richard Wagner.
Wenn man nun in der dreimal ausverkauften Philharmonie erlebt, mit welcher Meisterschaft Mendelssohn Naturgewalten durch die Orchesterstimmen zu jagen vermag, wie er seine Sprache mitfühlend, dabei immer wieder überraschend und zugleich nachvollziehbar ausbreitet, kann man etwas vom zähen Neid seiner Konkurrenten erahnen, den Wagner toxisch mit Antisemitismus verquirlte.
Christian Gerhaher ist eine Traumbesetzung für die zwiespältige Titelpartie
Die Titelfigur, der Prophet Elias, ist ein überaus zwiespältiger Charakter. Er sieht sich elitär als Werkzeug des einzigen Gottes, er droht Abweichlern und zweifelt still, zögert aber keine Sekunde, die Propheten des Wettergottes Baal niedermetzeln zu lassen.
Mit der Besetzung des Elias ist Kirill Petrenko ein Coup gelungen. Allein Christian Gerhaher dabei zu beobachten, wie er mit blinzelndem Unbehagen auf die Bühne kommt und sich dann schulterrollend immer weiter hinein in seine Partie begibt, ist eine Freude.
Der Bariton kann beckmesserisch überdeutlich werden in seiner Artikulation, er verfügt noch über den verführerisch balsamischen Schmelz des Liedsängers, kann aber auch auf die forcierte Schärfe der großen Opernbühne umschalten. Gerhahers Elias ist ein Ereignis und sich in jedem Detail ganz einig mit dem Dirigenten an seiner Seite.
Kirill Petrenko entwickelt mit seinen Musikerinnen und Musikern einen perfekt gestaffelten Klangraum, in den zu jedem Zeitpunkt der wunderbar präsente Rundfunkchor Berlin mitgedacht wird, egal ob er gerade singt oder nicht. Diese machtvoll ohnmächtige Stimme des leidenden Volkes kann einem auch unheimlich werden in ihren Stimmungsschwankungen, die Mendelssohn mit seismografischem Gespür registriert. In der federnden Einstudierung von Chordirektor Gijs Leenaars erreicht die Zusammenarbeit der Ensembles mit dem „Elias“ eine neue Stufe der Intensität.
Die Zusammenarbeit mit dem Rundfunkchor erreicht eine neue Intensität
Wie viel selbstverständlicher, freier klingt das als noch bei Petrenkos Antrittskonzert als Chefdirigent 2019 mit Beethovens Neunter. Es muss weniger gespurtet werden, die Stimmen dürfen mehr Raum nehmen, der Nachhall gewinnt an Gewicht. Zum ganzheitlichen Gelingen des „Elias“ tragen neben Christian Gerhaher auch seine Solisten-Kolleg:innen bei: der himmelwärts strebende Sopran von Elsa Dreisig, Wiebke Lehmkuhls Alt, der Hass genauso wie Fürsorge kennt, und Daniel Behles diskret die Seiten wechselnder Tenor.
Am Ende übernehmen im Oratorium zarte Ahnungen des Paradieses und gewaltige Prachtentfaltung. Was aber am stärksten nachhallt bei diesem „Elias“, ist die Stille nach der verzweifelten Beschwörung des Wettergottes. Sie erinnert daran, selbst Verantwortung zu übernehmen. Das ist ebenso unbequem wie unausweichlich, mit Mendelssohns Musik aber von Trost begleitet.
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