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Hans-Peter Kirchberg an seinem Arbeitsplatz in der Karl-Marx-Straße

© Neuköllner Oper

Neuköllner Oper Berlin: Finale für Hans-Peter Kirchberg

Von „Carmen“ bis Musical: Hans-Peter Kirchberg blickt zurück auf 20 Jahre als Musikdirektor an der Neuköllner Oper

„Die Musicals waren immer mein Jungbrunnen“, sagt Hans-Peter Kirchberg. 25 Produktionen hat als er musikalischer Direktor der Neuköllner Oper betreut. Mit dem „Wunder von Neukölln“ ging es los, das war 1998: Peter Lund hatte das moderne Märchen geschrieben, der junge Mitstreiter von Winfried Radeke, dem Gründer der Neuköllner Oper. Weil er parallel auch am Musical-Studiengang der Universität der Künste unterrichtete, holte er seine Studierenden von da an jedes Jahr auf die Kiez-Bühne an der Karl-Marx-Straße.

Die setzten die Neuköllner Oper stets unter Strom - und Hans-Peter Kirchberg war mittendrin. Im Gespräch schwärmt er von der Gruppendynamik der jungen Leute, ihrem innigen Kontakt auch hinter den Kulissen, ihrer positiven Power, ihrem Drang, das Publikum für sich zu gewinnen. Von der ersten Probe bis zur letzten Aufführung hat Kirchberg sie begleitet. Und er hat es genossen.

Klassischer Kapellmeister

Musical-Darsteller sind dreifach Begabte: Denn sie müssen singen können, tanzen und schauspielern. Vielleicht fühlte sich Hans-Peter Kirchberg ihnen auch deshalb so nah, weil er ebenfalls eine Tripel-Ausbildung absolviert hat, damals in Dresden. Er ist ein klassischer Kapellmeister – was bedeutet, dass er einerseits Orchester dirigieren kann und andererseits als Pianist ganze Opern aus dem Klavierauszug bei den Proben spielen. Nachdem er zur vor als Korrepetitor den Sängern geholfen hat, ihre Rollen einzustudieren.

Geboren wurde Hans-Peter Kirchberg in Leipzig, sein älterer Bruder sang im berühmten Thomanerchor. Das hätte ihn auch gereizt, doch er zeigte so viel Begabung am Klavier, dass er sich für eine Profikarriere an den Tasten entscheidet. Nach dem Hochschulabschluss bekommt er ein Engagement am Theater Chemnitz, dem damaligen Karl-Marx-Stadt, an einem großen Haus also, wo er sich in den Praxis einfuchsen kann. Dann wechselt er nach Zwickau, als zweiter Mann neben dem Generalmusikdirektor, dirigiert alles, von Operette bis zur großen Sinfonik, kann sogar einen reinen George-Gershwin-Abend durchsetzen, 1987, zum 50. Todestag des US-Komponisten.

Dann kommt die Wende, plötzlich scheint alles und nichts möglich, er darf Leonard Bernstein beim Schleswig-Holstein Festival assistieren, erhält das Angebot, in Hamburg den Dauerbrenner „Phantom der Oper“ zu dirigieren, kommt dann aber in Kontakt mit der Neuköllner Oper, über eine befreundete Sängerin. Mit Winni, wie Kirchberg ihn nennt, also dem Gründer Winfried Radeke, versteht er sich sofort bestens. Dessen Idee vom Musiktheater für alle mitten im Arbeiterbezirk gefällt ihm.

Und weil er anpacken kann, weil er keine Maestro-Allüren kennt, sondern ganz selbstverständlich die Notenpulte vor der Probe aufbaut und hinterher dafür sorgt, dass alles wieder ordentlich ist, wird er schnell unentbehrlich. Kirchberg ist eine sichere Bank, weil stilistisch keinerlei ästhetische Berührungsängste hat, weil er zudem vom Klavier aus dirigieren kann - und zwar für jede Produktion eine anders zusammengesetzte, auf die finanziellen Möglichkeiten des Off-Theaters abgestimmte Mini-Musikertruppe. 2002 wird für ihn der Titel „Musikalischer Direktor“ neu geschaffen.

An bis zu fünf Inszenierungen ist er pro Spielzeit beteiligt, über 2000 Vorstellungen hat er allein an der Neuköllner dirigiert: zeitgenössische Musik, vor allem Werke ganz junger Komponist:innen, die beim „Berliner Opernpreis“ gewonnen haben, abenteuerliche Bearbeitungen von Klassikern wie „Carmen“, „Macbeth“ und „Aida“ waren dabei, außerdem Unterhaltendes aller Art, von Paul Abrahams „Blume von Hawaii“ aus der Weimarer Republik über den DDR-Erfolg „Messeschlager Gisela“ und Stephen Sondheims Avantgarde-Musical „Assasins“ bis hin zu den umjubelten jährlichen Lund-UdK-Kooperationen.

Drei Intendanzen hat Kirchberg miterlebt, den Wechsel von Radeke zu Lund und schließlich zum heutigen Leitungsteam um den Dramaturgen Bernhard Glocksin. Enttäuschungen hat es auch gegeben in den langen Jahren, Verletzungen künstlerischer wie menschlicher Art. Doch aus der Perspektive seines frischen Rentnerdaseins blickt der Kapellmeister auf eine insgesamt erfüllte Zeit zurück.

Dass hier niemals Routine aufkommen konnte, liebte er. Ebenso , dass die Atmosphäre angenehm und locker war beim Musizieren, ungeachtet der oft herausfordernden Aufführungsbedingungen. Zum Start des neuen Lebensabschnitts hat ihm die Familie E-Bike geschenkt. Von Schöneiche aus, wo Hans-Peter Kirchberg seit drei Jahrzehnten wohnt, fährt er damit jetzt ins Brandenburgische. Und sonntags zur Kirche, wo er gerne als Organist aushilft.

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