
© Jörg Carstensen/dpa
Mehr als 55 von 160 Abgeordneten wären betroffen: Berlins Aufarbeitungsbeauftragter fordert Stasi-Check fürs Parlament
Tom Sello will, dass das Abgeordnetenhaus weiterhin neue Mitglieder auf eine mögliche Stasi-Vergangenheit überprüft. Die CDU schlägt eine Gesetzesänderung vor.
Stand:
Es war eine Meldung im Tagesspiegel- Newsletter Checkpoint vom 19. Mai, die Tom Sello, Berlins Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, aufgebracht hat: Bislang hat das Abgeordnetenhaus keinen Ehrenrat eingerichtet, um die Abgeordneten wie sonst in jeder neuen Legislaturperiode einem Stasi-Check zu unterziehen.
Er halte das „für ein falsches Signal“, schrieb der DDR-Bürgerrechtler den Fraktionsvorsitzenden. „Für Menschen, die in der DDR bespitzelt, drangsaliert und inhaftiert wurden, Opfer von Zersetzungsmaßnahmen und staatlicher Verfolgung waren, ist diese Nachricht ein Schlag ins Gesicht.“
Es sei eine Pflicht der Abgeordneten und der Senatsmitglieder, „sich mit den gleichen Maßstäben messen zu lassen, die den Opfern der politischen Verfolgung der SED-Diktatur per Gesetz auferlegt sind“. Die Opfer müssten sich ebenfalls überprüfen lassen, um rehabilitiert zu werden. Die Aufarbeitung der Stasi-Akten führe weiter zu neuen Erkenntnissen. Sello empfiehlt das Thüringer Modell, wo der Stasi-Check gesetzlich geregelt ist.
Im Abgeordnetenhaus heißt es, dass es bei den Haushaltsberatungen in den vergangenen Monaten viel zu tun gab. Parlamentspräsident Dennis Buchner (SPD) geht davon aus, dass sich das Parlament nach dem Haushaltsbeschluss mit dem Stasi-Check befassen wird.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräteherunterladen können.]
Die CDU-Fraktion will die Überprüfung im Abgeordnetengesetz vorschreiben. Unabhängig von früheren Überprüfungen sollten Abgeordnete, die am 3. Oktober 1990 volljährig waren, „ohne ihre Zustimmung auf eine geheimpolizeiliche, insbesondere auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) oder das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS)“ überprüft werden, heißt es im Gesetzentwurf der CDU-Fraktion.
„Die Vorstellung, dass in einem gewählten Parlament Abgeordnete sitzen, die aktiv dem SED-Unterdrückungsapparat zugearbeitet haben, ist unerträglich“, sagt CDU-Fraktionschef Kai Wegner. „Bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts darf es keinen Schlussstrich geben.“ Wegner sieht die Koalition am Zug: SPD, Grüne und Linke sollten „jeden Eindruck vermeiden, etwas vertuschen, aussitzen oder relativieren zu wollen“. Die Koalition müsse sich der Initiative der CDU anschließen.
[Konkrete Kiez-Nachrichten, Termine und Tipps - für jeden Berliner Bezirk gibt es jetzt einen Tagesspiegel-Bezirksnewsletter. Einmal pro Woche und kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de]
Abgeordnete, die vor dem 3. Oktober 1972 geboren wurden, würden nach dem CDU-Vorschlag auf eine Stasi-Mitarbeit überprüft werden, darunter auch Kai Wegner selbst. Mindestens 55 von 160 Abgeordneten kämen für den Stasi-Check infrage. Im Senat träfe es Innensenatorin Spranger, Bildungssenatorin Busse, Bausenator Geisel (alle SPD), Gesundheitssenatorin Gote und Verkehrssenatorin Jarasch (beide Grüne) und den parteilosen Wirtschaftssenator Schwarz.
Noch in Erinnerung ist Andrej Holm, der 2016 zum Kurzzeit-Staatssekretär wurde. Er hatte mit 18 Jahren im September 1989 eine Ausbildung als Offiziersschüler im Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ begonnen. Er verschwieg dies – seiner Entlassung als Staatssekretär kam er durch Rücktritt zuvor.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: