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Joachim Tucholl züchtet seit über 50 Jahren Brieftauben in Berlin Mahlsdorf.
Foto: Steffi Bey

© Steffi Bey

Mahlsdorfer züchtet seit über 50 Jahren Brieftauben: „Sie sind intelligent, treu und besitzen einen unvergleichlichen Orientierungssinn“

Weil fast alle seiner Kollegen zu DDR-Zeiten Tauben besaßen, legte sich Joachim Tucholl ebenfalls ein paar der Vögel zu. Was ihn an diesem Hobby bis heute reizt und warum er jeden Tag das Gleiche anzieht.

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Joachim Tucholl zieht jeden Tag das Gleiche an. Er trägt eine Jeans, einen blauen Pullover und graue Sportschuhe, weil ihn daran seine Brieftauben erkennen. Betritt er morgens den selbstgebauten Taubenschlag, hat er das Gefühl, sie warten schon auf ihn. Sie bleiben ruhig, wenn er näherkommt, verfolgen aber jede Bewegung.

Der Mahlsdorfer mag diese „einvernehmlichen Momente“ mit seinen Tauben. Und obwohl sich der Ablauf täglich wiederholt, wird ihm niemals langweilig dabei. „Im Gegenteil“, sagt der 83-Jährige. „Es bleibt eine Herausforderung, weil ich genau hinsehen muss, ob es den Vögeln gut geht.“ Dass sie gesund sind, erkennt der erfahrene Brieftaubenzüchter beispielsweise an gut geformten Kotbällchen, an glänzenden Federn, klaren Augen und an ihrer Neugier.

Manche Tauben kommen nicht zurück

Wenn Joachim Tucholl dann die Klappen der Fluglöcher öffnet, kann das freie Fliegen beginnen. Schwungvoll geht es hinaus und während die alten Tauben nur ein paar große Runden über dem Grundstück an der Donizettistraße drehen, bleiben die Jungvögel manchmal eine Stunde lang weg. „Die sind neugierig und wollen ihre Umgebung kennenlernen“, erzählt der erfahrene Brieftaubenzüchter und blickt nach oben.

Nach und nach kehren seine neun älteren Tauben in ihre Unterkunft zurück. Nicht mehr zu sehen sind tatsächlich die drei Jungen. Doch der Mahlsdorfer versucht, die Erkundungstour seiner Schützlinge gelassen zu nehmen. Obwohl er weiß, dass sie für Raubvögel eine leichte Beute sind. „Mit Verlusten muss man leider rechnen“, sagt Tucholl. Das erlebt er immer wieder. Aber gleichzeitig reizt ihn das an seinem Hobby. Für Außenstehende mag das hart klingen, für ihn ist das die Realität, mit der sich ein Brieftaubenzüchter arrangieren muss.

Vor mehr als 50 Jahren fing der gelernte Dachklempner damit an. Er zog mit seiner Familie in ein Dreifamilienhaus mit einem Heuboden-Anbau und baute ihn zum Taubenschlag um. Animiert hatten ihn seine Kollegen, die damals alle Tauben züchteten. Und eigentlich gab es bei der Arbeit nur dieses Thema. „Da wollte ich auch mitreden“, sagt er schmunzelnd.

Er wurde Mitglied in einem Taubenzuchtverein, war dort der einzige Anfänger und lernte viel von den erfahrenen Züchtern. „Für mich sind diese intelligenten Vögel etwas Besonderes“, sagt der rüstige Senior bewundernd. „Brieftauben sind intelligent, treu und besitzen einen unvergleichlichen Orientierungssinn.“

Früher Wettbewerbe, heute Hobby

Noch heute erzählt er seinen Enkeln anschaulich von den Wettbewerben, an denen er mit seinen Tieren teilnahm. Meistens ging es mit zehn Tauben an den Start. Rund 400 Kilometer entfernt befand sich sein weitester Auflassort. „In der Nähe von Wrocław starteten die Brieftauben, um nonstop zu ihrem Heimatschlag zurückzukehren“, sagt er.

Für ihn und seine Frau Ilona waren das jedes Mal spannende Stunden bis zur Ankunft der Tauben. Solche Wettbewerbe macht er schon lange nicht mehr mit. Auch aus dem Verein ist er längst ausgetreten. „Ich beschäftige mich ausschließlich hobbymäßig mit den Tieren, die mich jung halten“, sagt er.

Er beobachtet sie gerne, wenn sie im Sommer in einer Schüssel baden, Kopf und Körper ins Wasser tauchen und mit den Flügeln schlagen. Schön sei es außerdem zu sehen, wenn nach drei Wochen aus einem Ei ein Junges schlüpft. Besonders ins Herz geschlossen hat er eine grau-weiß-gefärbte Jungtaube: Eine Ruhige, die Tucholl oft in die Hand nimmt und ihr liebevoll über das Gefieder streicht.

Probleme mit Nachbarn wegen der Brieftauben hat Familie Tucholl bisher nie gehabt. „Die Leute wissen und akzeptieren es“, sagt er. Ein Erkennungszeichen der Brieftauben ist der Ring am Fuß. Konkrete Zahlen über Brieftaubenzüchter in Berlin gibt es nicht. Bekannt ist aber, dass es immer weniger werden. Im Verband Deutscher Brieftaubenzüchter sind rund 30.000 Mitglieder organisiert.

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