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Eröffnung eines Einsamkeits-Stammtisches in Reinickendorf
Foto: Saskia Kabelitz/Tsp

© Saskia Kabelitz

„Was brauchen einsame Menschen?“: Diese neue Runde im Berliner Norden hilft bei einem Tabuthema

In Reinickendorf soll ein neues Angebot ein soziales Problem lindern, das in Berlin Zehntausende betrifft. Im Kampf gegen die Einsamkeit zeigt dieser Bezirk einen besonderen Ehrgeiz.

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Die lange Tafel in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Reinickendorf ist eingedeckt mit weißen Tellern, Tassen auf den dazugehörigen Untertassen und orange-rosa Servietten. Einige Kannen Kaffee und mehrere Kuchen stehen bereit. Hier geht es um ein Gesellschaftsthema, das in Berlin Zehntausende betrifft: Einsamkeit.

Rund 20, überwiegend ältere Menschen, sind der Einladung zur Eröffnung der neuen Runde gefolgt. Damit ist es der inzwischen fünfte Einsamkeits-Stammtisch im Bezirk, und der erste in Kooperation mit einer kirchlichen Einrichtung.

Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) fordert auch auf Landesebene eine Einsamkeitsbeauftragte.

© Saskia Kabelitz

Auch Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) und die Einsamkeitsbeauftragte Katharina Schulz sind gekommen. In ihrer Eröffnungsrede betont Demirbüken-Wegner, dass Einsamkeit „die gesamte Gesellschaft“ angehe. Deswegen sei es ihr ein besonderes Anliegen, im Bezirk diese „Orte der Begegnung“ zu etablieren. Dafür seien die Stammtische eine Chance, denn: „Was brauchen einsame Menschen? Das Gespräch“, sagt Demirbüken-Wegner.

Einsamkeit gilt laut des gleichnamigen Reports der Techniker Krankenkasse (TK) aus dem Jahr 2024 als Tabuthema, besonders bei Männern. Nur 22 Prozent der männlichen Befragten, die das Gefühl der Einsamkeit kennen, geben an, dass sie zumindest manchmal mit anderen Menschen darüber reden. Bei den Frauen sind es 40 Prozent.

Reinickendorf hat Einsamkeit als soziales Schlüsselthema erkannt

Reinickendorf zeigt seit Jahren besonderen Ehrgeiz, dem Problem Raum zu geben. Und sticht unter den Berliner Bezirken auch wegen des hohen Anteils der älteren Bevölkerungsschichten heraus.

Damit die Stammtische gegen Einsamkeit wirken, seien Ehrenamtliche, die diese begleiten, entscheidend, betont die Bezirksbürgermeisterin. Eine von ihnen ist Rosemarie Teichelmann. Auch an diesem Tag läuft sie um den Tisch, sorgt dafür, dass die Milchkännchen gefüllt sind und verteilt Kuchen. Sie ist die Leiterin des Kreativ-Cafés, das seit drei Jahren regelmäßig in den Räumen der Gemeinde stattfindet.

Bei Kaffee und Kuchen wurden Weihnachtssterne gebastelt.

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An jedem ersten und dritten Donnerstag des Monats „trinken wir Kaffee, essen Kuchen und wenn einer lustig ist, bringt er Strickzeug mit“, erzählt Teichelmann. Die gemeinsamen Gespräche seien mal „ernst, traurig oder lustig – wie das Leben so spielt“. Das Angebot ist völlig kostenfrei, „wir haben einfach eine gute Zeit“, resümiert Teichelmann. Sie freut sich sehr, dass die Veranstaltungen nun in die Liste der Stammtische gegen Einsamkeit aufgenommen wurden.

In Zukunft häufiger dabei

Christiane Schwarze ist bisher unregelmäßig ins Kreativ-Café gekommen, hauptsächlich, weil sie donnerstags häufig „Enkel-hüten“ muss. Aber die Idee der Stammtische „finde ich cool“, sagt die 75-Jährige. Auch wenn sie selbst eine große Familie hat und sich nicht einsam fühlt, hofft sie, „dass es anderen Menschen hilft, die den Weg hierher finden“. Deswegen habe sie „entschlossen, in Zukunft dabei zu sein“, wenn sie nicht gerade auf eines ihrer 15 Enkel aufpassen muss.

Teilnehmerinnen des Kreativ-Cafés stricken Decken und Mützen für die Neugeborenen in der Charité. So auch Christiane Schwarze.

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Auch Heidi, die ihren Nachnamen nicht gerne in der Zeitung lesen möchte, findet die Idee toll. Die 77-Jährige möchte künftig „ab und an“ teilnehmen, erzählt sie. Die ehemalige Lehrerin hat auch gleich ein paar mögliche Verbesserungsvorschläge. Beispielsweise könnte eine kleine Vorstellungsrunde, Namenszettel oder ein vorgegebenes Gesprächsthema den Einstieg vereinfachen.

Einsamkeitsbeauftragte Katharina Schulz (2.v.l.) und Pastor Georg Schierling (3.v.l.) im Gespräch mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

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Katharina Schulz, die die Stelle der bundesweit ersten Einsamkeitsbeauftragten hat, ist zuversichtlich, dass dieser Stammtisch „sehr, sehr gut wird, weil Religionen für Nächstenliebe und Gemeinschaft stehen – egal welcher Glaube“. Eines ihrer Ziele sei es, Stammtische dieser Art in jedem Reinickendorfer Ortsteil zu etablieren. Im nächsten Jahr wolle sie sich daher dem Märkischen Viertel und Wittenau widmen.

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