zum Hauptinhalt
Zusammen kochen und dabei Deutsch lernen. Tamara Siebenmorgen-Koch leitet seit 1987 im interkulturellen Haus in Schöneberg einen Sprach-Kochkurs.

© Nora Tschepe-Wiesinger

„So ein Haus gibt es in keinem anderen Bezirk“: Wie ein Berliner Kochkurs Kulturen verbindet

Zusammen kochen und dabei Deutsch lernen. Tamara Siebenmorgen-Koch leitet seit 1997 im interkulturellen Haus in Schöneberg einen Sprach-Kochkurs. Aus diesem Engagement ist eine Community gewachsen.

Stand:

500 Kochbücher besitzt Tamara Siebenmorgen-Koch. Sie stapeln sich in ihrer Altbauwohnung bis unter die Decke. Aber Kochen ist für die 76-Jährige mehr als ein Hobby, es ist ihr Mittel der Wahl zur Verständigung – über Kontinente und Kulturen hinweg.

Seit 1987 leitet Siebenmorgen-Koch den Sprach-Kochkurs „KKK: Küche, Kultur, Kontakte“, seit 1997 findet er im interkulturellen Haus in Schöneberg statt. Alle zwei Wochen trifft sich dort in einer Küche im ersten Obergeschoss eine Gruppe von Menschen, von denen die eine Hälfte Deutsch als Muttersprache spricht und die andere Hälfte Deutsch als Fremdsprache lernt. Gemeinsam kochen sie Gerichte aus aller Welt, essen, reden, knüpfen Kontakte und Freundschaften.

Das Konzept, Kochen und Deutschlernen, hat einen wissenschaftlichen Namen: „Handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht“. „Man kann auch Laub sägen“, sagt Siebenmorgen-Koch lachend, die ursprünglich Sprachwissenschaft an der TU studiert und bereits während ihres Studiums Deutsch als Fremdsprache unterrichtet hat. „Hauptsache, man tut etwas zusammen.“ Beim gemeinsamen Kochen stehe das Schnippeln, Schälen und Am-Herd-Stehen im Vordergrund – Deutsch lerne man quasi nebenbei. „Der eine lernt vielleicht gerade das Wort Petersilie, die andere kann schon den Unterschied zwischen Dämpfen, Braten und Dünsten“, erklärt Siebenmorgen-Koch das Konzept.

Der Kochkurs setzte sich dabei jedes Mal neu zusammen. „Aktuell haben wir eine spanischsprachige Welle“, sagt Siebenmorgen-Koch. Besonders viele Teilnehmer:innen kämen zurzeit aus Südamerika, darunter auch Everton, der Portugiesisch spricht und 2017 aus Brasilien nach Deutschland gekommen ist. Seit letztem Sommer kommt er regelmäßig zu den Kochkurs-Treffen, manchmal mit seiner deutschen Partnerin. Zu Hause redet das Paar überwiegend englisch. Der Kochkurs sei für ihn eine gute Möglichkeit, sein Deutsch zu üben, sagt Tom. Jutta, 80, und Christel, 79, gehören zum deutschsprachigen festen Kern der Kochgruppe und kommen bereits seit acht Jahren. „Es macht Spaß, zusammen an Gerichten, die man noch nicht kennt, rumzupuzzlen“, sagt Jutta.

Ein Kochevent mit peruanischer Andenküche: Gewürzcreme, serviert mit Kartoffeln und Ei.

© Nora Tschepe-Wiesinger

In der Vergangenheit seien auch vermehrt Leute aus der Türkei, der Ukraine, aus Indonesien und Japan da gewesen, erzählt Siebenmorgen-Koch. Einmal hätte eine Gruppe die kasachische Großmutter mitgebracht, die dem Rest der Gruppe beigebracht habe, wie man Manti macht: kasachische, mit Fleisch gefüllte Teigtaschen.

Normalerweise überlegt Siebenmorgen-Koch selbst, was gekocht werden soll. In der Vergangenheit hat sie dafür oft in eins ihrer 500 Kochbücher geschaut, mittlerweile sucht sie nach neuen Rezepten auch im Internet oder bringt eine Idee von einer ihrer Reisen mit. Seitdem sie den Koch-Sprachkurs 1987, vor 38 Jahren, ins Leben gerufen hat, hat sie kein Gericht doppelt gekocht. Es gibt eine einzige Ausnahme: das Perlentaucher-Curry vom Persischen Golf, ein Fisch-Curry mit Kokosrapseln und Rosinen. „Weil das wirklich allen so gut geschmeckt hat“, sagt sie lachend.

Seit einem halben Jahr wechselt sie sich beim Kochen mit dem peruanischen Koch Viktor Mendivil Trelles ab. An diesem Mittwoch kocht Trelles mit den Kursteilnehmer:innen peruanische Andenküche: Als Vorspeise gibt es Ocopa, eine Gewürzcreme, serviert mit Kartoffeln und Ei, als Hauptgericht Locro de Zapallo, ein Kürbis-Eintopf und zum Nachtisch Quinoa-Pudding. Das Rezept dafür hat Siebenmorgen-Koch vorher redigiert und an alle Kursteilnehmer:innen geschickt. Das Deutsch soll einwandfrei und für alle verständlich sein.

Tamara Siebenmorgen-Koch setzt sich schon jahrzehntelang für ein Miteinander aller Nationen ein.

© Nora Tschepe-Wiesinger

Offiziell ist Siebenmorgen-Koch seit neun Jahren in Rente. „Ich muss auch mal bisschen weniger machen“, sagt sie. Ihr Leben lang hat sie sich für Migrant:innen und Geflüchtete und ein interkulturelles Miteinander eingesetzt, erst als Geschäftsführerin des Vereins „Ausländer mit Uns“, dann als Leiterin des Interkulturellen Hauses. Im Dezember wurde ihr für ihr Engagement die Verdienstmedaille vom Bezirksamt verliehen.

„So ein Haus gibt es in keinem anderen Bezirk“, sagt Siebenmorgen-Koch stolz und erzählt von den Anfängen. Der Verein „Ausländer mit uns“ (AMU) gründet sich 1982 als Reaktion auf die „Ausländer raus“-Politik des damaligen Berliner CDU-Innensenators Heinrich Lummer. Im Untertitel trägt der Verein den Namen: Verein zur Förderung interkultureller Begegnungen. Gemeinsam mit der damaligen Integrationsbeauftragten Emine Demirbürgen-Wegner (heute CDU-Bezirksbürgermeisterin von Reinickendorf) und der einstigen Schöneberger Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer bemühte sich Siebenmorgen-Koch im Bezirk jahrelang um ein Haus für die gemeinsame Arbeit von migrantischen und migrationspolitischen Initiativen.

1997 wurden sie in der Geßlerstraße 11 fündig. In dem Haus war vorher das Gesundheitsamt und der Schulzahnarzt untergebracht. Heute treffen sich dort täglich zahlreiche unterschiedliche migrantische Gruppen. Das Angebot reicht von Samba-Trommelgruppen bis zu interreligiösen Gesprächskreisen, auch eine interkulturelle Gartengruppe und eine Schülerhilfe für Kinder mit Migrationshintergrund gibt es.

Traurig macht Siebenmorgen-Koch, die das interkulturelle Haus bis 2020 geleitet hat, die zunehmende migrationsfeindliche Stimmung, die sie nicht nur in der Bundespolitik, sondern auch in Schöneberg bemerke. „Ich habe mein Leben lang dafür gekämpft, dass Integration gelingt und für Maßnahmen, damit sie besser werden kann“, sagt sie. „Ich habe das Gefühl, wir drehen uns politisch im Kreis.“ Schon vor 35 Jahren habe man bei der Integration von Geflüchteten aus dem ehemaligen Jugoslawien ähnliche Debatten geführt wie heute.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })