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Janine Schmidt, jetzt womöglich ohne Henry, und der Blog, auf dem sie von ihm erzählt.

© Georg Moritz

Blog über ein Leben mit Krebs: Hau ab, Henry!

Janine Schmidt ist an Krebs erkrankt, es fiel ihr schwer, darüber zu sprechen. Deswegen hat sie die Krankheit getauft – und einen Blog daraus gemacht.

Unter ihrem Schlüsselbein prangt ein kleiner roter Schriftzug, unterstrichen von einer zartroten Linie: „fuckoffhenry“ steht dort in Schreibschrift über der Narbe, die der Katheter bei der Chemotherapie hinterließ. Dieses Tattoo entspricht der jungen Frau: jugendlich, kreativ, leichtlebig. Deswegen hat Janine Schmidt dem Krebs, der sie vor eineinhalb Jahren überraschte, auch einfach einen Namen gegeben: Henry. „Jeder Krebs ist anders und nicht so einfach vergleichbar mit dem anderer Patienten“, hatten ihre Ärzte gesagt. Da passte es, ihn individuell zu taufen.

„Der Name ist mir nach der Diagnose quasi erschienen, er kam mir ganz plötzlich in den Sinn“, sagt Schmidt, 33, die außer „ihrem“ Henry keinen anderen Träger dieses Namens kennt. „Die Wörter Krebs und Tumor gehen einem nicht leicht über die Lippen. Mit Henry ist das anders“, sagt Schmidt. Auch Freunde und Verwandte haben weniger Hemmungen, zu fragen, wie es „Henry“ geht, als sich nach dem „Krebs“ zu erkundigen. Denn Schmidt möchte über die Krankheit sprechen, als eine Art Selbsttherapie, aber auch um Berührungsängste ihrer Mitmenschen aufzubrechen.

"Wie im Körper einer 80-Jährigen"

„Wenn man Krebs hat, hat man nicht alleine Krebs, sondern das gesamte Umfeld hat ihn.“ Deswegen hat Schmidt Ende des vergangenen Jahres den Blog „fuckoffhenry“ – was man in etwa übersetzen könnte mit „hau ab Henry“ – gestartet, zunächst um Freunde und Familie auf dem Laufenden zu halten. Doch dann dachte sie: Warum nicht auch anderen Mut machen? Im deutschsprachigen Internet gibt es nämlich wenige Anlaufstellen für Krebskranke, insbesondere mit der selteneren Form, unter der Schmidt litt, dem „Non-Hodgkin- Lymphom“, kurz NHL. Bei dieser Krankheit wachsen Lymphknoten durch die permanente Vermehrung bösartiger Zellen überdimensional an und gefährden die umliegenden Organe.

Vor fast anderthalb Jahren entdeckte man bei ihr die Krankheit, es folgten sechs Chemotherapien und eine Kur. Bei den letzten beiden Chemotherapien war sie so geschwächt, dass sie sich „wie im Körper einer 80-Jährigen“ gefühlt habe, erzählt Schmidt. Seit einigen Monaten geht es ihr besser. Es folgen Nachsorgeuntersuchungen, doch es sieht aus, als würde Henry nicht mehr wiederkommen. „Er hatte keinen Bock auf meine positiven Vibes“, sagt Schmidt und lächelt offensiv.

Keine Krankenhausbilder, das ist ihr wichtig

Im Blog „fuckoffhenry“ informiert sie mit Links über die Krankheit, beschreibt aber vor allem, was in ihrem Leben gerade los ist. Dazu gehört die allererste Party, die sie seit der Diagnose besucht hat, der erste Friseurbesuch, nachdem sie ihre Haare abrasieren musste, und die neueste Idee, selbst hautverträgliche, temporäre Tattoos zu entwerfen. Die Einfälle für einen neuen Blogbeitrag kommen ihr ganz spontan, beim Kochen oder Zähneputzen. Dann schreibt sie ohne Pause und ohne etwas zu korrigieren, bevor sie es postet.

Genauso klingen die Beiträge der 33-Jährigen: frisch, wortgewandt, unterhaltsam und witzig. Mit ihrer Kamera macht sie passende Fotos – aber keine Krankenhausbilder, das ist ihr wichtig. Stattdessen fotografiert Schmidt die rot-weißen High Heels, die den Text zu tiefgehenden und doch praktischen Fragen untermalen wie: „Wann kommt der Moment für Sommerkleider und High Heels wieder, der Moment, in dem man sich nicht mehr klein und krank fühlt?“

Ein Abschiedsbrief für Henry

Die studierte Musik- und Medienmanagerin arbeitet seit kurzem wieder freiberuflich als PR-Beraterin. Beim Bewerbungsgespräch für ein PR-Projekt war es ihr wichtig, offen auf die Frage zu antworten, was sie im vergangenen Jahr gemacht habe. Auf ihre Offenheit reagieren viele ebenso mit Ehrlichkeit: „Wenn ich an all das positive Feedback denke, das ich auf meinem Blog bekommen habe, kriege ich eine Gänsehaut.“ Viele Betroffene folgten ihrem Beispiel und gaben ihrer eigenen Krankheit auch einen Namen, manche nannten ihn sogar ebenfalls Henry.

Schmidt hat es sich gut überlegt, mit ihrer Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen, und sie ging diesen Schritt auch erst, als sie die schlimmsten psychischen und physischen Folgen der Chemotherapie überwunden hatte. In Deutschland erkranken jedes Jahr mehr als 1800 Menschen an NHL. Schmidt findet es wichtig, sich zu vernetzen und auf das Tabu des Krankseins hinzuweisen. „Es zählt heute, keine Schwäche zu zeigen und leistungsfähig zu sein – im Beruf und auch privat.“ Sie wollte die Geschichte ihrer Krankheit anders angehen, offensiv und dabei optimistisch und fröhlich bleiben. Als sie im Mai die Nachricht bekam, dass die Behandlung erfolgreich war und der Krebs fort ist, schrieb sie Henry einen Abschiedsbrief: „Durch dich glaube ich fortan an das große Ganze und daran, dass alles möglich ist.“ Doch nun könne er getrost abschwirren. „Ich übernehme ab jetzt das Steuer.“ Kaum zu glauben, dass das einmal anders gewesen sein soll.

Den Blog finden Sie unter: fuck-off-henry.de

Jana Scholz

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