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56 Böllerverbotszonen sollen in Berlin zur Silvesternacht gelten. Das Brandenburger Tor gehört, anders als in den Vorjahren, nicht dazu.

© Christophe Gateau

Böllerverbotszonen in Berlin: Ein Konjunkturpaket für Politik- und Staatsverdrossene

Die Grünen hatten es gefordert, SPD-Senator Geisel setzt es um. Der Schuss namens Böllerverbotszone könnte nach hinten losgehen. Ein Kommentar.

„Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.“ Von Gottfried Benn auf die Kunst bezogen, charakterisiert das zum Original leicht abgewandelte Sprichwort das am Mittwoch über Teile der Stadt verhängte Böllerverbot ziemlich genau. Allen voran die Grünen hatten es vehement und flächendeckend gefordert und scheiterten zunächst im Bund und dann auch in Berlin.

Die nun vorgelegte Liste ist dennoch ihr Verdienst. Dafür zahlen müssen Politik und Polizei gleichermaßen, die Währung lautet Glaubwürdigkeit und Anerkennung.

In Wirklichkeit nämlich sind die von der Senatsverwaltung als „Pyroverbotszonen“ bezeichneten Bereiche in der Stadt nichts anderes als ein Konjunkturpaket für Politik- und Staatsverdrossene. Das fängt schon mit Auswahl und Beschreibung der Zonen an. 

Ausgedruckt ergibt die von der Innenverwaltung zusammengestellte Liste der 54 Spiegelstriche kompakte sieben Seiten. Wer um alles in der Welt soll sich dieses Sammelsurium aus Straßennamen und Hausnummern durchlesen und verinnerlichen?

Oder rennen die Knallfreunde dieser Stadt in der Silvesternacht mit einem Stapel Papier in der Hand durch die verwaisten Straßen und checken vor dem Zünden der Lunte – selbstverständlich aus gehortetem Altbestand – noch schnell die Örtlichkeit? Wohl kaum!

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Schlimmer noch: Die ganz offensichtlich fehlende Durchsetzbarkeit der Verbote. Als „völlig realitätsfern“ bezeichnet Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, die Maßnahme und räumt stellvertretend für viele Tausend Beamte in der Stadt offen ein, von der Geisel-Liste vollkommen überrascht worden zu sein.

Anfang Dezember kam die Absage für eine weitere Böllerverbotszone

Ihnen, Jendro und auch CDU-Fraktionschef Burkard Dregger klingt die von Geisel Anfang Dezember gemachte Absage an eine (!) weitere Verbotszone in den Ohren. Damals begründete Geisel den Verzicht auf eine Ausweitung der Verbotspraxis mit fehlendem Personal zur Kontrolle und Ahndung von Verstößen. Was hat sich daran innerhalb weniger Wochen geändert?

Da hilft auch ein proaktiv an den Tagesspiegel verschickter Text der Innenverwaltung „zur Klarstellung“ nicht wirklich weiter. Ihm zufolge basiert die Ausweisung der Pyroverbotszonen auf die Mitte Dezember durch den Senat beschlossene Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, die Böllerverbotszonen am Alexanderplatz und rund um die Pallasstraße auf dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz und damit auf „einer komplett anderen Rechtsgrundlage und vor dem Hintergrund einer veränderten Infektionslage in diesem Land“.

Ersteres mag formal stimmen, macht für den betroffenen und erst recht der Anordnung gegenüber kritisch eingestellten Bürger aber keinen Unterschied. Letzteres ist schlicht falsch. Das Infektionsgeschehen war auch Anfang Dezember außer Kontrolle, der sogenannte Lockdown Light in seiner ersten Verlängerung. Auch die Personaldecke bei der Berliner Polizei hat sich seitdem kaum verändert und wenn doch dann eher negativ – die Pandemie macht auch vor Menschen in Uniform nicht Halt.

Keine Sanktionen - keine Kontrolle

Was bleibt sind relativ hilflose Versuche, das Offensichtliche zu kaschieren: Die sogenannten Verbotszonen existieren vor allem auf dem Papier. Wenn von Kontrolle durch ein „spezielles Raumschutzkonzept der Polizei“ die Rede ist, dann heißt das übersetzt: Wirft jemand einem die Verbotszone passierenden Streifenwagen einen Knaller vor den Reifen, dann wird der Verstoß geahndet – wenn überhaupt. Von einer konsequenten, Verstöße durch zwangsläufig folgende Sanktionen unterbindenden Kontrolle, kann nicht die Rede sein.

Ein glatter Offenbarungseid der Innenverwaltung ist der Hinweis darauf, für die Durchsetzung der Infektionsschutzverordnung seien die Mitarbeiter der bezirklichen Ordnungsämter verantwortlich. Zur Erinnerung: Das sind jene ehrbaren Staatsbediensteten, die, statt Verstöße zu ahnden und Infektionsherde auszutreten, selbst in den Hochzeiten der Pandemie besser Anwohnerparkausweise kontrollieren. Ihnen eine Nachtschicht zum Jahreswechsel aufs Auge drücken: Ein Gedanke so unrealistisch wie Schnee zu Weihnachten.

Und so sind die in ihrem Kern, nämlich der Entlastung des Gesundheitssektors, sinnvoll begründeten Verbotszonen vor allem eines: Ein öffentlichkeitswirksames Placebo, das am Ende eines Jahres voller Verbote und Beschränkungen so gut wie keine Wirkung entfalten wird. 2020 war in vielerlei Hinsicht das glatte Gegenteil von einem Knaller – und es endet ausgerechnet mit einem Rohrkrepierer.

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