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Berlin: Brücken über den Abgrund

Den Deutsch-Jüdischen Geschichtspreis am 27. Januar in Berlin zu verleihen, war "eine offensive Form", den Holocaust-Gedenktag zu begehen.

Den Deutsch-Jüdischen Geschichtspreis am 27. Januar in Berlin zu verleihen, war "eine offensive Form", den Holocaust-Gedenktag zu begehen. Das sagte gestern der Präsident des Abgeordnetenhauses Walter Momper (SPD) bei der Ehrung der Preisträger. Mit dem Preis, den der amerikanische Unternehmer Arthur Obermayer vor zwei Jahren gestiftet hat, wurden gestern sechs Heimatforscher aus Deutschland ausgezeichnet. Sie suchten in ihren Gemeinden nach Spuren jüdischen Lebens, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Dabei, so Momper, gehe es weniger um die Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland, als vielmehr um den "großen jüdischen Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte seit dem Mittelalter". Beim Festakt im Abgeordnetenhaus waren der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Alexander Brenner, und Vertreter aller Parteien, darunter Wolfgang Wieland für die Grünen, anwesend.

Mit dem Obermayer German Jewish History Award danken Nachfahren deutsch-jüdischer Familien den Heimatforschern für ihre Arbeit. So hat Olaf Ditzel, ein Dachdecker aus dem thüringischen Vacha, ältere Nachbarn nach ihren Erinnerungen an die einstigen jüdischen Mitbürger gefragt und diese für eine Ausstellung aufgearbeitet. Außerdem entzifferte und restaurierte Ditzel auf dem alten jüdischen Friedhof Grabsteine. Eine Berlinerin mit jüdischen Wurzeln wurde bei einem Besuch des Geburtsortes ihrer Eltern auf Ditzels Arbeit aufmerksam. Sie hat ihn Arthur Obermayers Stiftung für den Geschichts-Preis vorgeschlagen. Eine Jury, der unter anderem Sara Nachama, Vizepräsidentin des Aktionskomitees des Berliner Jüdischen Krankenhauses, angehört, nominierte Ditzel. So funktioniere der History Award, sagte Stifter Arthur Obermayer: Er baue "Brücken über den Abgrund", der im Nationalsozialismus zwischen Juden und Nichtjuden aufgerissen wurde. Die Idee zu seinem Preis kam Obermayer bei einer Reise zu seinen eigenen familiären Wurzeln. Bevor seine vier Großeltern Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA auswanderten, hatten sie in süddeutschen Gemeinden gelebt. In allen Orten traf der Unternehmer aus Boston auf deutsche Heimatforscher, die mehr über seine Ahnen wussten als er selbst.

Michel Friedmann, der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden, dankte den sechs Preisträgern aus sechs Bundesländern gestern im Abgeordnetenhaus "für ihren Mut, ihre Kraft und ihre Ausdauer". Anders als viele Bewohner ihrer Gemeinden hätten sie in ihren Forschungen über die jüdische Geschichte "keine Bedrohung, sondern eine große Chance" gesehen, sich dieser Geschichte zu stellen. Josef Motschmann, ein Religionslehrer aus dem oberfränkischen Altenkunstadt, restaurierte dort unter anderem die Synagoge. Im Ort, so Motschmann, gelte er vielen als "Nestbeschmutzer". Er solle sich lieber mit fränkischen Trachten beschäftigen, sagten die Leute. Dafür, sagt der Ausgezeichnete, hätte er wohl keine "Drohbriefe mit Hakenkreuzen" bekommen.

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