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Ab 1989 hieß das "Quartier Latin" nur noch "Latin" - und auch dort wurde getanzt.

© imago stock&people

Legendärer Konzertsaal in Tiergarten: Das "Quartier Latin": Als die Potse noch rockte

Das "Quartier Latin" war einst einer der angesagtesten Musiktempel West-Berlins. Ein Buchprojekt soll nun an ihn erinnern.

Wenn heute vom Quartier Latin die Rede ist, denkt man automatisch an Paris und die Revolte von 1968, zu deren Hauptschauplätzen eben das traditionsreiche Studentenviertel gehörte. Doch vor drei, vier Jahrzehnten hatte der Name gerade in Berlin noch einen ganz anderen Klang.

Da erinnerte man sich an großartige Rock-, Blues-, Jazzkonzerte, die man im „Quartier Latin“ erlebt hatte, schwärmte, dass man diesen oder jenen mittlerweile sehr angesagten Musiker am Anfang seiner Karriere dort erlebt habe. Wer Glück hatte – aber das waren eben sehr wenige – gehörte sogar zu den gerade mal acht Zuhörern, die zu einem frühen Konzert von Herbert Grönemeyer gekommen sein sollen.

So sah es von außen aus - das "Quartier".
So sah es von außen aus - das "Quartier".

© akg-images / ddrbildarchiv.de

Das Quartier Latin – das war ein alles andere als glamouröser Konzertort in der Potsdamer Straße 96 in Tiergarten, exakt dort, wo sich jetzt das Varieté „Wintergarten“ befindet. Heute nicht mehr so richtig präsent im Gedächtnis der Stadt, aber das könnte sich ändern.

Ein Buch soll die große Zeit dieses für die West-Berliner Musik- und Kulturszene einst so wichtigen Ortes erinnern, finanziert wird das Projekt per Crowdfunding. Knapp 6700 Euro waren bis Donnerstagabend durch bislang 70 Unterstützer zusammengekommen, rund 32.000 Euro müssen es werden, wofür noch 33 Tage bleiben. Wird das Limit nicht erreicht, sollen die Unterstützer ihr Geld zurückerhalten.

Erst kamen die Ratten dann die Sanierung

Hinter dem Projekt steht zum einen Marco Saß, der Sohn der verstorbenen Betreiber Christa und Manfred Saß, die das Quartier Latin von 1972 bis 1989 führten. Als Jugendlicher hatte er die Entwicklung des Konzertortes hautnah miterlebt, bei den Auftritten fotografiert, Eintrittskarten, Programmzettel, Konzertplakate gesammelt. Ihm zur Seite steht Henry Steinhau, Musikjournalist, dessen häufigste Arbeitsstätte mit über 100 dort erlebten Konzerten das Quartier Latin war. Gestaltet wird das Buch, das im Berliner L&H Verlag erscheinen soll, von dem Designer und Schriftgestalter Erik Spiekermann. Wenn alles gut geht, ist für Ende September eine Buchpremiere im Wintergarten geplant, mit viel Live-Musik, Lesungen und mehr.

Auch der junge Herbert Grönemeyer (u.re.) trat im Quartier Latin auf.
Auch der junge Herbert Grönemeyer (u.re.) trat im Quartier Latin auf.

© imago/BRIGANI-ART

Ursprünglich war der spätere Konzertort ein Kino, eröffnet 1913, dessen flimmerndes Leben erst der Mauerbau beendete. Zuvor hatten sich viele Ost-Berliner in dem nahe der Sektorengrenze gelegenen Lichtspieltheater bei West-Produktionen vergnügt.
Ein großes Geschäft war für das 1972 eingestiegene Betreiberehepaar allerdings nie drin, es waren eben nicht die ganz großen Namen, die dort auftraten. Aber sehen lassen konnte sich die Liste der Quartier-Latin-Stars schon. Sie reichte von Grönemeyer bis zu Nina Hagen.

Volker Kriegel trat dort auf, Barbara Thalheim gab dort ihr erstes West-Konzert, auch Chet Baker, Wolfgang Niedecken mit BAP, Nena und die Scorpions waren in der Potsdamer Straße. Die Ärzte gewannen dort einen der West-Berliner „Senatsrock-Wettbewerbe“. Verbürgt sind Brian Auger, Golden Earring, Ulla Meinicke, Phillip Boa & The Voodooclub, New Model Army, Jack Bruce, John Cale und Udo Lindenberg.

Das Ambiente freilich blieb anfangs etwas fragwürdig. Ein Zeitzeuge berichtete im Tagesspiegel, er habe „hinter der verrotteten Bühne“ einmal Ratten gesehen. Musiker hätten im Gespräch mit ihm „etwas geniert“ zugegeben, „dass sie sich daselbst zu erleichtern pflegten, wenn es ihnen in einer kurzen Pause schon sehr dringend vorkam“. Erst 1981 wurde es besser, als der Musiktempel mit Senatsgeldern in Höhe von einer halben Million D-Mark gründlich saniert wurde.

Aus "Quartier Latin" wurde "Wintergarten"

Ein langes Leben war ihm da nicht mehr beschieden. Im Frühjahr 1989, nach einer kräftigen Mieterhöhung, übernahmen Holger Klotzbach von den „3 Tornados“, Lutz Deisinger und ein BAP-Manager den Laden, der fortan nur noch „Quartier“ hieß. Das Beiwort „Latin“ klinge nach „Existenzialistenmuff“ befand Klotzbach.

Die Musik sollte durch Varieté, Entertainment, Kabarett und Theater ergänzt werden ein Konzept, das sich nicht bewährte. Peter Schwenkow, Berliner Konzertveranstalter, übernahm, gemeinsam mit André Heller und Bernhard Paul vom Zirkus Roncalli. Auch das blieb nicht das Ende der Geschichte. Aber das „Quartier Latin“ war nun zum „Wintergarten“ geworden.
Mehr Infos zum Buchprojekt finden sie hier.

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