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Laut PISA-Studie wird jeder sechste deutsche Schüler regelmäßig Mobbing-Opfer.

© IMAGO

Bundesweit einzigartiges Modellprojekt in Berlin: Wie ein spezielles Team Kindern mit großen emotionalen Problemen hilft

Wenn Jugendämter in Berlin an besonders schwierigen Kindern verzweifeln, schalten sie eine spezielle Koordinierungsstelle ein. Deren Arbeit wurde jetzt ausgewertet.

André (Name geändert) sah, wie sein Vater seine Mutter verprügelte, dann bekam er selber Schläge ab. Die Mutter trennte sich vom Vater, doch André, keine zehn Jahre alt, lebte weiter bei ihm. Bei einem Mann, der seinen Sohn tagelang ohne Essen und Trinken allein ließ.

Für André folgte eine Odyssee durch Einrichtungen, immer wieder flog er wegen extremer Aggressivität raus. An normalen Schulunterricht war nicht zu denken. André, jetzt zwölf Jahre alt, galt als extrem schwerer Fall.

Bis sein Fall zur „Koordinierungsstelle zur Entwicklung flexibler Hilfesettings für Kinder und Jugendliche mit komplexem Hilfebedarf“ kam. Kurz gesagt: Zu jenem Expertenkreis, der 2018 gegründet worden war, um genau solche Kinder, Opfer katastrophaler familiärer Verhältnisse, psychisch zu stabilisieren.

Die Stelle ist bundesweit einzigartig

Diese Stelle, angesiedelt bei der Senatsbildungsverwaltung, ist bundesweit einzigartig.

Zwei Jahre prüften Wissenschaftler der Evangelischen Hochschule Berlin ihre Arbeit, am Freitag stellten Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) und beteiligte Wissenschaftler die Bilanz der Analyse vor.

Das Modell der Stelle funktioniert

Viktoria Bergschmidt, Forschungsleiterin

„Das Modell funktioniert“, sagte Viktoria Bergschmidt, die Forschungsleiterin. „In fast allen der untersuchten Fällen wurde tragfähige Lösungen gefunden, die langfristig gewirkt haben. 35 Fälle haben die Wissenschaftler ausgewertet, insgesamt 63 Fälle hat die Stelle bisher bearbeitet oder bearbeitet sie aktuell. Und es gibt eine Warteliste. In 124 Fällen insgesamt wurde die Stelle bereits um Hilfe gebeten.

In dem Gremium ist Fachwissen konzentriert, die Experten erarbeiten für jedes Kind eine individuelle Lösung. Alle sitzen an einem Tisch: Jugendamt, freie Träger, Schule, Kinder- und Jugend-Psychologie, regionale Schulaufsicht, Jugendgerichtshilfe, aber auch die betroffenen Eltern - und das Kind.

Ein „Team of Zeit“ kümmert sich intensiv um die Kinder

Ein „Team of Zeit“ kümmert sich um das Kind, bis es wieder stabilisiert und vernünftig beschulbar ist. „Für viele Kinder und Jugendliche ist dies die erste kontinuierliche Beziehungserfahrung seit Jahren“, sagt Bergschmidt.

Auch um André kümmert sich ein „Team of Zeit“. Der vormals hoch aggressive Junge lebt jetzt im betreuten Einzelwohnen mit Nachbetreuung. „Er hat sich deutlich stabilisiert und kann wieder unterrichtet werden“, sagt Bergschmidt.

Viele Fälle galten als gescheitert

Von den 35 untersuchten Fällen galten 30 zuvor als mehr oder weniger gescheitert, das sind 86 Prozent. Nahezu allen konnte geholfen werden. Die betroffenen Kinder waren immer wieder aus ihren Einrichtungen geflogen. Es waren so genannte Abbrecher, es war unklar, wie man sie noch auf einen vernünftigen Weg bringen könne.

Die bis dahin eingesetzten Hilfssysteme hatten nicht gegriffen, teilweise weil sie nicht lange genug eingesetzt worden waren. „Die Quote der Abbrecher hat sich bei der Koordinierungsstelle drastisch reduziert“, sagt Bergschmidt zufrieden.

In einigen, wenigen Fällen, habe ein Jugendamt die Kinder jedoch nach einiger Zeit wieder aus der Obhut des „Teams of Zeit“ genommen, und sich wieder in Eigenregie um sie gekümmert. „Und das“, sagt Viktoria Bergschmidt, „ist dann ganz fatal.“

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