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Berlin: Chaos in der Jüdischen Gemeinde

Nach der spektakulären Auflösung der Repräsentantenversammlung weiß niemand, wie es weitergehen soll

Von Amory Burchard

und Christian Böhme

Die Krise in der Jüdischen Gemeinde hat sich dramatisch verschärft. Nach monatelangem Streit zwischen dem Vorsitzenden und Gemeindevertretern löste sich das Gemeindeparlament, die Repräsentantenversammlung (RV), in der Nacht zum Donnerstag nach einer turbulenten Sitzung auf. Damit erzwangen die gewählten Vertreter vorgezogene Neuwahlen. Bis dahin amtiert der bisherige Vorstand weiter. Ein Nachfolger für den erst vor zwei Jahren gewählten Vorsitzenden Alexander Brenner ist nicht in Sicht.

„Ich hoffe, dass neue Leute in den Vorstand gewählt werden, die nicht von persönlichen Eitelkeiten geprägt sind“, sagte Brenner. Der 72-jährige Vorsitzende beschuldigt seine Vorstandskollegen, ihn bei Entscheidungen über Personalfragen und anderen Vorgängen „dauernd übergangen“ zu haben. Der Streit, der letztlich zum Aus führte, habe sich um die Geschäftsordnung gedreht, die Kompetenzen regeln sollte. Brenners Hauptwidersacher, der stellvertretende Vorsitzende Moishe Waks, dagegen wirft Brenner vor, „ständig eigenmächtige Entscheidungen“ getroffen zu haben. Zuletzt habe Brenner höhere Gehälter für zwei Gemeindemitarbeiter durchsetzen wollen. Im Streit um diese Frage beantragte RV-Mitglied Albrecht Meyer, der schon länger für Neuwahlen plädiert, die Auflösung. Dem Antrag folgten 17 von 18 Gemeindevertretern.

Brenner war nach den Gemeindewahlen vor zwei Jahren ein Kompromisskandidat. Die von Waks geführte Gruppe „Demokratisches Forum“ hatte ihn mitgetragen, nachdem sich keine neue Mehrheit für Andreas Nachama abzeichnete. Schon bald aber galt Brenner als führungsschwach und konfliktscheu. Der fragt: „Was denn nun? Schwächling oder Despot?“ Er habe lediglich versucht, seine Arbeit als Vorsitzender zu machen, sagt Brenner. Eines beklagen Waks und Brenner allerdings unisono: den rüden Umgangston in den Sitzungen. Mehrere Treffen wurden nach wechselseitigen persönlichen Beleidigungen im Streit abgebrochen. Und beide betonen auch, dass die Finanzkrise der Gemeinde nichts mit dem Rücktritt des Vorstands zu tun habe. Dabei ist die Situation dramatisch: Allein für 2001 fehlten 1,5 Millionen Euro. Um Geld zu sparen, hatte der Vorstand erwogen, Tarifabschlüsse des Öffentlichen Dienstes nicht mehr zu übernehmen. Die aktuelle politische Krise wird die nötige Sanierung weiter verzögern.

Ob die Selbstauflösung ein Befreiungsschlag war, ist ohnehin umstritten. Ein prominentes Gemeindemitglied nennt den Rückzug der Repräsentanten „verantwortungslos“. Mangels geeigneter Kandidaten könne es nach Neuwahlen „nur schlimmer“ werden. In westdeutschen Gemeinden macht man sich „große Sorgen“ um Berlin. Dies sei die Fortsetzung der Krise nach dem Tod des legendären Vorsitzenden Heinz Galinski. Die Berliner Gemeinde – mit 12 000 Mitgliedern die größte Deutschlands – ist seit Jahren nicht mehr in der Spitze des Zentralrats der Juden vertreten. Könnte Rettung von außen kommen – etwa der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats, Michel Friedman? Das gilt als unwahrscheinlich. Berlin hat den Ruf eines „Haifischbeckens“. Alexander Brenner will sich jetzt „gut überlegen“, ob er bei den für September geplanten Neuwahlen antritt.

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