
© Nick Wilke
„Das ist für mich die Sternstunde der politischen Bildung“: Mehr als 600 Schüler des Berliner Lilienthal-Gymnasiums demonstrieren für Grundrechte
Am 76. Geburtstag des Grundgesetzes demonstrierten die Schüler für „Frieden, Freiheit und Menschlichkeit“. In diesen Zeiten sei es besonders wichtig, für die Demokratie aufzustehen, finden sie.
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Es hat fast ein ganzes Schuljahr bis zur Genehmigung gedauert: Zum ersten Mal in Berlin hat die Schulaufsicht erlaubt, dass eine ganze Schule eine Demonstration organisieren und daran teilnehmen darf. Und obwohl es keine Pflicht zur Teilnahme gab, protestierten am Freitagmittag mehr als 600 Schüler des Lilienthal-Gymnasiums in Lichterfelde gemeinsam für „Frieden, Freiheit und Menschlichkeit“ – passend zum 76. Geburtstag des Grundgesetzes. Nur eine Handvoll Schüler verblieb im Gebäude und bekam Unterricht zum Thema Alltagsrassismus.
Um Punkt Zwölf setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung. Unter Begleitung der Berliner Polizei zogen die Schüler vom Gymnasium zum Hermann-Ehlers-Platz am Rathaus Steglitz. Viele hatten selbstgebastelte Plakate dabei, einige auch Transparente. Schnell wurde klar: Hier wird für etwas demonstriert, nicht gegen etwas. „Liebe“ steht auf einer gelben Pappe, „Seid Menschen“ auf einer anderen. In großen Lettern wurden Margot Friedländer und Immanuel Kant zitiert.
Schon in den Vorjahren hatten Teile der Schule unter dem gleichen Motto demonstriert. Damals noch im Februar, mit Bezug auf den russischen Überfall auf die Ukraine. Jetzt hat sich der Zweck ausgeweitet und die Demonstration findet in der Schule als Projekttag für alle statt. „Für mich als Politiklehrer ist das die Sternstunde von politischer Bildung“, sagt Florian Bublys, Lehrer am Lilienthal-Gymnasium. Er habe gemeinsam mit Schulleiter Thorsten Beyer ein halbes Jahr an der Genehmigung gearbeitet.
Demo soll ab jetzt jedes Jahr stattfinden
In diesem Antrag heißt es: „Autoritäres, menschen- und demokratiefeindliches Denken und Handeln nehmen zu, und die Entwicklung macht auch vor der Schule nicht halt.“ Die Schulleitung und Bublys seien der Verwaltung und der Polizei sehr dankbar, dass sie die Demonstration begleiten und in der Form möglich gemacht haben.
Auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Steglitz-Zehlendorf, Ulrike Kipf, findet es großartig, dass die Schule diesen Tag möglich gemacht hat. „Wir müssen im Blick behalten, wie sich die Schüler heutzutage politisch bewegen“, sagt sie. Als die Schulaufsicht die Demonstration bewilligt hat, habe sie Luftsprünge gemacht.
Am Hermann-Ehlers-Platz angekommen, bilden die Schüler einen Halbkreis um die dortige Spiegelwand, ein dreieinhalb Meter hohes und neun Meter breites Mahnmal, auf dem die Namen von 2000 deportierten Juden verewigt sind. Vier Schülerinnen der elften Klasse hatten sich bereit erklärt, zum Abschluss der Veranstaltung Reden zu halten. „Besonders in diesen Zeiten ist es wichtig, etwas zu sagen“, sagt eine. „Demokratie lebt davon, dass man aufsteht“, eine andere. In ihren Reden appellieren sie an ihre Mitschüler, sie zitieren Margot Friedländer und aus dem Grundgesetz.
Immer wieder bekommen sie dafür Applaus. Auch von Passanten, die den Beiträgen gebannt zuhören. Von jetzt an soll die Veranstaltung jedes Jahr stattfinden. „Wir wollen das zu einer Tradition machen“, sagt Lehrer Bublys. „Als Schüler war ich einmal auf einer Demo. Das habe ich bis heute nicht vergessen.“
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