Berlin: Das Vermächtnis der höheren Töchter
Die Sophie-Scholl-Oberschule begann als Eliteeinrichtung. Jetzt wird sie 175, ist erfolgreich – und längst für Jungen und Mädchen da
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Das hätten ihre Vorgängerinnen sich nicht erlauben dürfen: Rauchen vor der Schulpforte war anno 1832 absolut tabu. Die „höheren Töchter“ von heute sind da lockerer und stehen morgens kichernd unter den wuchtigen Eingangssäulen der Sophie-Scholl-Oberschule. Der beige Kasten an der Ecke Elßholz-/ Pallasstraße in Schöneberg macht sich schon seit Tagen hübsch: Die erfolgreiche Gesamtschule feiert ihren 175. Geburtstag heute mit einem Festakt, dem in den nächsten Monaten viele Feiern folgen. Was das für die Teenager vor der Tür bedeutet? „Och“, sagen sie, „wir machen Abi und haben echt andere Sorgen.“
Schulleiter Klaus Brunswicker mag sie genau so. Er findet seine 1170 Schülerinnen und Schüler zwischen 13 und 20 Jahren „bunt, interessant und lebendig“. Der 57-Jährige muss es wissen: Er ist seit fast 28 Jahren an der Schule, erst als Geschichtslehrer und seit sieben Jahren als Direktor. „Wir wollen gute Angebote für Schüler mit Hauptschul-, Realschul- oder Gymnasialempfehlung machen und keinen ausgrenzen“, nennt er das Ziel der 140 Pädagogen. Wie ihm der Direktorenposten gefällt? „Verdammt viel Arbeit, aber der Erfolg macht süchtig. Wir haben sehr starken Zulauf.“ Für das Schuljahr 07/08 habe es 520 Bewerbungen auf 220 Plätze gegeben. Darunter besonders viele Schüler mit Gymnasialempfehlung. Einige der Scholl-Schüler absolvieren ein Praktikum beim Tagesspiegel oder stellen auch mal Kunst im Verlag aus, denn die Scholl-Schule ist Partnerschule dieser Zeitung innerhalb des IHK-Projektes „Partnerschaft Schule – Betrieb“.
Die 175-jährige Schulgeschichte, die auch ein Stück Zeitgeschichte ist, begann mit der Gründung der „Neuen Töchterschule auf der Friedrichstadt“. 29 Töchter von Beamten, Predigern und Handwerkern drückten die Schulbank. Was die Sophie-Scholl-Oberschule noch mit der höheren Töchterschule gemein hat? „Vielleicht den hohen Anteil an Mädchen“, lacht Brunswicker. 60 zu 40 Prozent. Aber die viel wichtigere Verbindung sei die ständige Reformbewegung. 1909 war die Schule eine der ersten in Berlin, wo Mädchen Abitur machen konnten. Später kam dann die Koedukation, also der gemeinsame Unterricht von Mädchen und Jungen hinzu.
„Außerdem waren wir wohl die erste integrative Oberschule Deutschlands“, sagt Klaus Brunswicker. Vor 25 Jahren habe man mit dem gemeinsamen Unterrichten von nicht behinderten und behinderten Kindern begonnen. 24 sind es derzeit, je drei pro integrativer Klasse. Außerdem ist die Sophie-Scholl-Oberschule seit acht Jahren Staatliche Europa-Schule: Es gibt zwei zweisprachige Unterrichtszweige für Französisch und Spanisch. Das eigentliche Erfolgsmodell seien aber die Schwerpunktklassen für Musik, Sprachen, Kunst, Arbeitslehre und Naturwissenschaften. „Das schafft Gemeinschaft unter den Schülern, die aus der ganzen Stadt und allen sozialen Milieus kommen.“
Im ersten Stock zeigt eine Schau die Schulgeschichte. Und eine Glasvitrine mit skurrilen Geschenken aus Russland erinnert daran, dass hier russische Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg den Bunker an der Pallasstraße bauen mussten. Ein Geschichts- und Sozialprojekt der Sophie-Scholl-Oberschule unterstützt die Überlebenden mit Geld. Die junge Widerstandskämpferin Sophie Scholl sei eine unglaublich positive Identifikationsfigur, sagt Brunswicker. „Da sind die Schüler mächtig stolz drauf.“
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