zum Hauptinhalt

Berlin: Dem Ziel ganz nahe

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Schön, wenn man Ziele hat. Zum Beispiel haben alle Politiker das Ziel, die Bundestagswahl am 18. September zu gewinnen oder doch so gut wie möglich dabei abzuschneiden. Aber warum müssen sich Politiker immerfort etwas zum Ziel setzen und beteuern, dass sie etwas zum Ziel haben?

„Der Senat hat auf Vorlage der Senatorin für Justiz, Karin Schubert, eine Bundesratsinitiative beschlossen, die zum Ziel hat, die Zwangsheirat wirksamer zu bekämpfen“, war in einer amtlichen Mitteilung zu lesen. Auch in Anträgen der Fraktionen des Abgeordnetenhauses liest man ständig die Floskel „...hat zum Ziel...“. Das ist zwar das reinste Kauderwelsch, aber es fällt gar nicht mehr auf. Man muss es sich klar machen. Das Wörtchen zum ist eine Verschmelzung von zu und dem. Ein Ziel ist ein Ziel, jedoch kein „ZumZiel“. Politiker wollen durch ihr Handeln bestimmte Ziele erreichen.

Nun ist es mit den Präpositionen so eine Sache. Sprachliche Ausdrucksformen ändern sich. Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen, sofern dabei kein Unsinn herauskommt. Der auch in Berlin wirkende Gelehrte und Schriftsteller Karl Philipp Moritz, ein Zeitgenosse Goethes, ging „zu Hause“, wie man in seinem Roman „Anton Reiser“ nachlesen kann. Das amüsiert uns heutzutage. Wir gehen nach Hause, aber zur Schule, ins Kino, auf den Markt.

Doch bleiben wir bei der sinnentstellenden Benutzung von Präpositionen. Erika Steinbach, die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, sagte in einem Zeitungsinterview: „Wir wissen, wer den Weltkrieg begonnen hat. Und Polen weiß durchaus um seine Verantwortung zur Vertreibung.“ Wieso zur Vertreibung? Niemand trägt Verantwortung zu seinen Taten. Man kann zu etwas Gutem oder Schlechtem beitragen, aber man trägt Verantwortung für das, was man sagt, tut oder unterlässt. Für schwere Fehler oder Versäumnisse wird man gewöhnlich zur Verantwortung gezogen. Manch einer stand deshalb schon nahe am Abgrund, nicht etwa nahe des Abgrunds.

Doch neuerdings wird nahe als Präposition öfter gedankenlos mit dem Genitiv gebraucht. Die Anti-Terror-Übung fand „nahe des Flughafens“ statt. Die Leiche wurde „nahe eines Trampelpfades“ gefunden. Das tut weh, denn noch steht nahe immer mit dem Dativ: nahe (bei) einem Trampelpfad, nahe dem Flughafen, nahe an der Quelle. Angela Merkel ist schließlich auch nicht nahe ihres Ziels, sondern ihrem Ziel nahe.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false