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Eisern! Die Fans in der Alten Försterei waren den Volkspolizisten offenbar nicht ganz geheuer (Foto von 1988)

© Jaron Verlag/Harald Hauswald

Alltag der DDR: Der Blick zurück

Der Fotoband "Voll der Osten" von Harald Hauswald und Stefan Wolle zeigt das Leben in Ost-Berlin.

Ja, das Interesse am Osten Deutschlands, am Leben und Treiben in der DDR mit ihren landschaftlich so reizvollen Gegenden zwischen Ostsee und Thüringer Wald, scheint eher zu- als abzunehmen. Und das gilt auch und gerade für diesen Moloch, unsere einst geteilte Stadt: Was war früher? Und was ist heute? Und dazwischen? Was ist schön alt oder neu hässlich, und was muss man unbedingt gesehen haben?
Der europaweit hallende Lockruf des Abenteuers Berlin hat dazu geführt, dass eine Fotoausstellung über das Leben im Osten der geteilten Stadt auf die Wanderschaft durch ganz Europa geschickt wurde. „Voll der Osten“ ist der Titel, „Totally East – Life in East Germany“ Die Untertitel sind zweisprachig, die kleinen feuilletonistischen Miszellen von Stefan Wolle auch. Und die Bilder von Harald Hauswald sprechen für sich, manche sind längst Kult und dürfen in ihrer vieldeutigen Aussagekraft in so einem Buch der fotografischen Reminiszenzen nicht fehlen.

Zum Beispiel ein Foto, das sich mein Kollege Stephan, der Symbolisches liebt, über den Schreibtisch gehängt hat: Am 1. Mai 1987 toben Wind und Regen über den Alex, Hauswald fotografiert nicht die Tribünen-Genossen, denen die Hüte vom Kopf fliegen (wäre auch ein schönes Bild geworden!), sondern die Fahnenträger, die sich vehement gegen Regen und Sturm stemmen, kaum ihre Fahnenstangen halten können und schließlich die Banner auf die Ladefläche eines Lkw werfen. 1987 stand die DDR im Regen und der Wind der Veränderung wehte schon durchs Land. Wird uns das erst 30 Jahre später bewusst, oder dachte Hauswald schon im Moment, als er auf den Auslöser drückte, an solch aktuellen Symbolgehalt? Ahnte er, dass die Zeit, als das Volk an den Herren hoch droben auf den Tribünen winkend vorbeimarschierte, zu Ende ging – und das in einem hochgerüsteten Land hinter der Mauer, an der dennoch kein Schuss fiel? Hauswald hatte sie alle im Objektiv: Die „sozialistische Menschengemeinschaft“, die Alten, die Krabblixe in der Krippe, die Aussteiger, die Punks, die Mutigen: Das Kaleidoskop eines deutschen Landes und seiner Leute, die von ihren Brüdern und Schwestern nicht immer verstanden wurden. Deshalb wandert die Ausstellung durch Städte und Dörfer, und mit dem Begleitbuch kann man sich die versunkene Republik in die Tasche stecken. Und mit ihr die Volkspolizisten (Bild oben) als Gegensatz zum normalen Union-Fan – die einen sind samt Gummiknüppel und feldgrauer Uniform weg, die anderen wollen ewig eisern leben, möglichst bunt und nicht in Schwarz-Weiß. Oder Grau. „Die Farbe der DDR ist grau“, schreibt Stefan Wolle. Dieses Grau hat bei den meisten nicht die Herzen und Hirne erreicht. Bettina Wegner, 1976: „Grade, klare Menschen wär’n ein schönes Ziel. Leute ohne Rückgrat hab’n wir schon zu viel“.

Harald Hauswald/Stefan Wolle: Voll der Osten. Leben in der DDR. Jaron Verlag, Berlin. Dt./Engl., 128 Seiten, über 100 Fotos, 12 Euro (Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, hrsg. von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Ostkreuz – Agentur der Fotografen)

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