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Heinrich von Treitschke

© IMAGO/Heritage Images

Der Judenhass des Heinrich von Treitschke : Wie die CDU in Berlin-Steglitz einen Antisemiten verharmlost

Die Steglitzer CDU verschickt Briefe, in denen sie verstörende Worte für einen notorischen Antisemiten findet. Dahinter steckt entweder Ignoranz oder Kalkül.

Sebastian Leber
Ein Kommentar von Sebastian Leber

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Das muss man sich erstmal trauen: Die CDU Steglitz verschickt Briefe an die Anwohner der vor einer Umbenennung stehenden „Treitschkestraße“, in denen sie den Antisemiten Heinrich von Treitschke verharmlost. Verfasserin ist ausgerechnet Claudia Wein, die kirchenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

In ihrem Brief behauptet Wein, Treitschkes „Ansichten“ und seine „Rolle in der Geschichte“ seien „umstritten“. Diese Behauptung ist eine ziemliche Frechheit.

Tatsächlich ist sich die Wissenschaft längst einig, dass Heinrich von Treitschke glühender Antisemit sowie Rassist war und entscheidend daran mitwirkte, den Judenhass im Deutschland des späten 19. Jahrhunderts salonfähig zu machen. Diese Tatsachen können auch gar nicht bestritten werden. Zu eindeutig und zahlreich sind seine belegten antisemitischen Äußerungen und Forderungen.

Das ist ganz so, als spräche die CDU Steglitz von der „umstrittenen“ Hamas und deren „umstrittenen“ Taten vom 7. Oktober 2023.

Leider handelt es sich bei Weins Äußerung nicht um den einmaligen Blackout einer Person, die sich einfach nicht für Geschichte interessiert und versehentlich Unsinn schrieb. Die CDU Steglitz weiß sehr genau um die Taten von Treitschkes, denn die Frage der Straßenumbenennung wird seit Jahrzehnten im Bezirk verhandelt. Claudia Wein saß für die CDU im dortigen Kulturausschuss, als über das Thema gesprochen wurde.

Judenhass sah er als „natürliche Reaktion des germanischen Volksgefühls“

Der Judenhass von Heinrich von Treitschke war so massiv und offenkundig, dass sich schon zu seinen Lebzeiten etliche Kollegen von ihm distanzierten. Antisemitismus hielt der Mann für eine „natürliche Reaktion des germanischen Volksgefühls gegen ein fremdes Element“. Er klagte über den „Juden, der seine Nachbarn wuchernd auskauft“ sowie über das „unbillige Übergewicht des Judentums in der Tagespresse“.

Von Treitschke unterstellte den Juden „Terrorismus einer rührigen Minderzahl“ und attackierte besonders die „Ostjuden“. Er behauptete: „Über unsere Ostgrenze (…) dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen.“

Dies alles ist kein Geheimwissen. Es ist bekannt und zigmal beschrieben worden. Doch in dem Jahr, in dem die Gewalt und Hetze gegen Juden weltweit stark zugenommen hat, hält es die CDU Steglitz für eine gute Idee, das Wirken eines notorischen Antisemiten als „umstritten“ zu verharmlosen.

Der Historiker Wolfgang Benz schreibt zutreffend, von Treitschke habe „Parolen der Judenfeindschaft geliefert, von denen Interessenten noch Jahrzehnte zehren sollten.“ Sein Kollege Ernst Piper schreibt, von Treitschke habe den Schlachtruf „Die Juden sind unser Unglück!“ auf Jahrzehnte hinaus populär gemacht.

Christhard Hoffmann fasst es zusammen: „Mehr als jeder andere hat Treitschke denn auch dazu beigetragen, die antisemitische Ideologie in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen und mit seiner ,wissenschaftlichen’ Reputation zu rechtfertigen.”

Die Anfrage des Tagesspiegels, wie Claudia Wein zu ihrer Formulierung kam, lässt die Abgeordnete unbeantwortet.

Über den Sinn von Straßenumbenennungen können Demokraten jederzeit diskutieren. Über historische Fakten wie die Ansichten von Treitschkes jedoch nicht. Und das Bekenntnis „Gegen jeden Antisemitismus!“ bedeutet, Judenhass auch dann als solchen zu benennen, wenn der Täter kein Islamist ist, sondern Heinrich heißt.

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