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Tempo-30-Schild unter blauem Himmel.

© Tsp

Langsam zum Limit: Der lange Kampf um Tempo 30

Lokale Initiativen und eine europaweite Kampagne setzen sich dafür ein, dass in der Stadt langsamer gefahren wird. Doch der Senat ist vorsichtig mit weiteren Tempo-30-Zonen.

Die Sitten auf Berlins Straßen werden rauer, es wird geschnitten, gedrängelt und Rotlicht ignoriert. Fußgänger trauen sich an großen Verkehrsachsen kaum noch, die Fahrbahn zu queren. Am Hindenburgdamm in Steglitz demonstrierten kürzlich Anwohner für Tempo 30 und neue Zebrastreifen. Auch am Breitenbachplatz sowie in der Grunewald- und Lepsiusstraße haben sich Initiativen für Tempo 30 formiert. Und im September ist in Berlin eine europaweite Kampagne für Tempo 30 als EU- weites Standardtempo für Stadtstraßen gestartet worden. Nach Auskunft von Mitinitiatorin Heike Aghte muss sich die EU-Kommission mit der Forderung befassen, wenn europaweit eine Million Unterschriften zusammenkommen. In Deutschland müssten 75 000 Menschen das Volksbegehren unterstützen, das von rund 40 Fachverbänden unterstützt wird.

Für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist Tempo 30 zurzeit aber kein vordringliches Thema. Man sei im Vergleich zu anderen Städten schon relativ weit, sagt Sprecherin Petra Rohland. „Berlin ist die einzige Großstadt, die ihr gesamtes Hauptstraßennetz auf Tempo 30 geprüft hat.“ Im Ergebnis wurden 164 Abschnitte mit 82 Kilometern Länge nachts auf Tempo 30 reduziert – zwecks Lärmschutz. 16 weitere Abschnitte wurden rund um die Uhr auf 30 km/h limitiert. Zusätzlich gibt es Tempo 30 tagsüber vor weit mehr als 100 Schulen, die direkt an Hauptstraßen liegen.

Derzeit lasse die zuständige Verkehrslenkung an 19 Abschnitten die Wirksamkeit des Tempolimits prüfen. „Das dauert drei Jahre“, sagte Rohland. So lange wird auf einen weiteren Ausbau verzichtet. Davon unabhängig könne jeder Anwohner einen Antrag auf ein Tempolimit vor seiner Haustür stellen, wenn er sich von Lärm, Abgasen oder mangelnder Sicherheit betroffen sieht. Die Verkehrslenkung prüfe dann den Einzelfall und entscheide, ob es genügend Argumente dafür gebe, die auch vor Gericht Bestand haben.

Seit 2002 agiert die Behörde deutlich vorsichtiger. Damals gab das Verwaltungsgericht der Klage eines Taxifahrers gegen eine Tempo-30-Regelung auf der Lehrter Straße in Moabit statt. Die Richter erklärten, eine über das ortsübliche Maß hinausgehende Gefährdung von Verkehrsteilnehmern sei nicht ersichtlich. 2003 kippte das Gericht eine Beschränkung auf Tempo 60 auf der Avus, die der Senat nach einer Initiative von lärmgeplagten Anwohnern angeordnet hatte.

Grüne: Tempo 30 soll zum Standard werden

Die Prüfung am Hindenburgdamm führte zum Ergebnis: keine überdurchschnittliche Verkehrsgefährdung. Innerhalb von 15 Jahren gab es dort laut Senatsverwaltung nur vier Unfälle. Das Argument, vier Kitas und zwei Kirchen lägen am Hindenburgdamm, parierten die Verkehrslenker mit dem Hinweis, es gebe zwei Ampeln in erreichbarer Nähe. Doch dahin seien es zehn Minuten zu Fuß, sagen die empörten Anwohner. Zumindest ein Zebrastreifen müsse doch drin sein – aber nein, Zebrastreifen auf zweispurigen Straßen seien verkehrsrechtlich ausgeschlossen, weil „zu gefährlich“.

Die BVV Steglitz-Zehlendorf hatte sich für Tempo 30 ausgesprochen. Zu diesem Beschluss werde das Amt noch eine Stellungnahme abgeben, sagte Rohland. Wahrscheinlich wird sie inhaltlich aber nicht von der bisherigen Position abweichen. Für den Tempelhofer Damm, an dem das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg Tempo 30 einführen will, werde zur Zeit ein Lärmschutzgutachten erstellt, sagte Rohland.

Die Grünen streben im Bund mit dem Verkehrsklub Deutschland eine große Lösung an, indem sie die Ausnahme zur Regel machen wollen: Tempo 30 soll in Städten Standard werden, Tempo 50 nur an ausgewählten Straßen gelten. Dann seien die leidigen Rechtsstreitigkeiten mit einem Federstrich erledigt.

Die Grünen unterstützen auch das EU-weite Volksbegehren – und sehen gute Chancen dafür. Zum einen, weil die Bürger auch online „unterschreiben“ können. Zum anderen haben bei einer Abstimmung zur Verkehrssicherheitspolitik im Straßburger Parlament auch Christ- und Freidemokraten der Forderung nach Tempo 30 zugestimmt. In anderen Ländern, allen voran Großbritannien, läuft nach Auskunft von Heike Aghte schon seit 2006 eine Kampagne unter dem Motto „Twenty’s plenty“, „Zwanzig (Meilen pro Stunde) ist schon viel“. Mehr als 30 Städte hätten sie bereits umgesetzt, darunter Metropolen wie Edinburgh, Liverpool und Bristol.

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