Berlin: Der lange Schatten
Die Familie von Robin Hirsch floh vor den Nazis – und fand sich nie damit ab Nun hat der Sohn ein Buch über sein Leben im Londoner Exil geschrieben
Stand:
Sohn Robin klopft an Vaters Tür. „Who is it?“ – „Robin.“ – „Wer?“ – „Robin.“ – „Ach ja, Rrrobiin, komm’ ma’ rein.“ Vater verstand den Namen schlecht, den er seinem Sohn gegeben hatte. Eines der kleineren Probleme in einer deutsch-jüdischen Familie, die vor den Nazis von Berlin nach London fliehen musste. Der Name Robin war ein Kompromiss zwischen zwei unterschiedlichen Sprachmelodien, aber dem Vater blieb das englische Idiom immer fremd.
Die Begebenheit ist eine von vielen „Kinderszenen“, die Robin Hirsch in seinem biografisch angelegten Buch „Last Dance at the Hotel Kempinski“ aufgeschrieben hat. Am heutigen Sonntag führt er einige dieser Szenen im Jüdischen Museum auf, eine Melange aus Lesung und szenischem Spiel, mit der Hirsch seit vielen Jahren durch die USA und Europa tourt. In Berlin ist er zum ersten Mal mit seinem Programm.
Abgestiegen ist er nicht im Kempinski. Dort war er schon mal in den 90er Jahren, als die Hotelgruppe ihm eine Zusammenarbeit zur Vermarktung des Buches anbot. Nach näherer Lektüre entschieden die Manager, dass dieses Buch wohl doch nicht so gut zu ihnen passt. Last Dance, der letzte Tanz, bezieht sich auf einen Moment in der Familiengeschichte, in dem eine Liebe begann und zugleich eine Epoche zu Ende ging.
Frühjahr 1935. Herbert Hirsch, ein angesehenes Mitglied der jüdischen Gemeinde, erfolgreicher Unternehmer, lernt auf einem Maskenball im Kempinski Käthe Lewald kennen. „Du gefällst mir“, sagt Käthe. Sie tanzen zusammen die Nacht hindurch und werden ein Paar. An Flucht denken sie noch nicht, obwohl viele Freunde und Verwandte schon die Koffer packen. Drei Jahre später verlassen sie Deutschland. 1942, mitten im Krieg, während Bomben auf London fallen, wird Robin geboren. Er ahnt noch nicht, in was für eine verdrehte Welt er hineingeboren wurde, dass sie ihn bald „Nazi“ rufen werden, obwohl er Jude ist und die bösen Deutschen in den Filmen so sprechen wie sein Vater. Die Kinderszenen werfen Schlaglichter auf das Leben in der Emigration, die wirtschaftlichen Sorgen, die Vorbehalte der Nachbarn und die kulturellen Konflikte. Sie sind so aufgearbeitet, dass man über sie lachen kann, aber manchmal auch weinen muss. Robin Hirsch beschreibt im Buch, wie sein Vater ihn zwingt, bei der Bar Mitzvah eines Freundes eine Rede zu halten. Es ist ein Fest mit 200 Gästen, niemand erwartet, dass ein Elfjähriger eine Rede hält. Robin bringt beim Mahl keinen Bissen herunter. Schließlich steigt er auf einen Stuhl und sagt seine Sätze.
„Mein Vater ist nie darüber hinweggekommen, alles verloren zu haben“, sagt Robin Hirsch. Er lachte fast nie und sprach nicht über seinen Schmerz. Wenn Robin Freunde zu Besuch hatte, kam sein Vater ins Zimmer und fragte, wie lange es noch dauert. Robin Hirsch glaubt, dass die Verbrechen der Nazis an den Juden psychologische Traumata auslösten, die den Alltag vieler Emigrantenfamilien verdunkelten. Der lange Schatten des Holocaust auf die nachfolgenden Generationen. Das ist sein Thema. Seit 30 Jahren treibt es ihn um.
Robin Hirsch ist mehrfach in Berlin gewesen, hat die Häuser seiner Eltern gesucht, den Modesalon seiner Mutter am Ku’damm, aber die Gebäude gibt es nicht mehr. Auch das Kempinski wurde nach dem Krieg neu gebaut. Etwas wie Heimatgefühl komme allenfalls auf, wenn er mit seiner Schwester in die Synagoge in der Pestalozzistraße geht. Dort spielen sie die gleiche Musik wie früher in ihrer Londoner Synagoge.
Robin Hirsch liest heute ab 16 Uhr im Jüdischen Museum, Lindenstraße 9 in Kreuzberg. Der Eintritt ist frei.
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