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Gute Idee. Die Haube senkt die Durchblutung der Kopfhaut, damit die Substanzen der Chemo die Haarwurzeln nicht erreichen.

©  dpa

Kühlhauben bei der Chemo: Die aus der Kälte kam

Kühlhauben sollen den Verlust der Haare während einer Chemotherapie verhindern. Ob sie aber wirklich wirken, ist umstritten.

Man könnte es auch so sehen: Wer gegen den Krebs kämpft und um das eigene Leben, hat andere Sorgen, als sich mit Äußerlichkeiten zu befassen. Doch vielen Krebspatienten ist das eigene Aussehen keineswegs egal. Das sagt auch Marion Paul, leitende Oberärztin im Brustzentrum des Vivantes Klinikums Am Urban. „Werde ich meine Haare verlieren?“ sei oft die zweite Frage, die ihr Patienten nach der Krebsdiagnose stellen. Ohne Haare fühlten sich viele Krebserkrankte bloßgestellt, wie nackt und noch verletzlicher. Auch ein Stück Selbstbestimmung gehe mit den Haaren verloren. Denn sobald die Haare weg sind, können Patientinnen nicht mehr selbst entscheiden, ob und wem sie von ihrer Erkrankung erzählen – der kahle Kopf macht sie für jeden sichtbar.

Der Haarausfall ist aber kein Symptom der Krebserkrankung selbst, sondern von deren Behandlung. Zur Bekämpfung des Tumors in einer Chemotherapie werden sogenannte Zytostatika eingesetzt. Der Name kommt aus dem Griechischen und bedeutet frei übersetzt in etwa „Zelle anhalten“. Die Zytostatika greifen die Zellen bei der Teilung an und schädigen sie, sodass sie nicht weiterwachsen und nach und nach zerstört werden. Zellen, die sich oft teilen, werden also durch Zytostatika besonders beeinträchtigt. Dazu gehören die Krebszellen, aber eben auch die Zellen der Haarfollikel.

Bei der Standard-Chemotherapie verlieren alle Patientinnen ihre Haare

Übrigens ist Haarausfall kein Zeichen dafür, dass die Therapie anschlägt. Ebenso wenig lassen sich umgekehrte Rückschlüsse ziehen. Bleiben die Haare erhalten, bedeutet dies nicht, dass die Medikamente keine Wirkung haben.

Allgemeingültige Aussagen zum Thema Krebstherapie und Haarausfall lassen sich auch sonst nur schwer machen. Je nach Krebsart werden unterschiedliche Chemotherapien angewendet, und nicht alle führen zwangsläufig zum Verlust der Haare. Auch bei anderen Krebstherapien wie der Behandlung mit Hormonen oder Antikörpertherapien fallen die Haare nicht aus. „Bei der Standard-Chemotherapie für Brustkrebs allerdings können wir sagen, dass alle Patientinnen ihre Haare verlieren“, sagt Paul. Doch längst nicht alle Brustkrebspatientinnen benötigen überhaupt eine Chemotherapie.

Der Haarausfall beginne in der Regel nach der ersten oder zweiten Chemotherapie-Infusion. Die Haare fallen nicht auf einmal aus, sondern Stück für Stück. „Manche finden Haare auf ihrem Kopfkissen, oder die Bürste nimmt plötzlich viel mehr Haare mit als sonst“, sagt Paul.

In der Medizin experimentiert man schon lange mit Methoden, die den Haarausfall infolge einer Chemotherapie verhindern sollen. Seit mehr als 20 Jahren testen Forscher sogenannte Kühlhauben. Einige dieser Hauben sehen aus wie ein weicher Fahrradhelm. Die Patientin muss etwa 20 Minuten vor Beginn der Chemotherapie die Haube aufsetzen und darf sie erst nach einer Stunde wieder absetzen. In der Haube befindet sich eine Kühlflüssigkeit, die dafür sorgt, dass die Kopfhauttemperatur konstant zwischen fünf und acht Grad beträgt. Bei diesen niedrigen Temperaturen reduziert der Organismus die Durchblutung der äußeren Hautschichten erheblich, wodurch die Zytostatika der Chemotherapie die Haarwurzeln nicht erreichen – so zumindest die Idee.

Vivantes schätzt, dass bei bis zu 60 Prozent der Patientinnen die Haube ein Erfolg ist

In Berlin bietet das Vivantes Brustzentrum seit 2014 Kühlhauben für Brustkrebspatientinnen an. Oberärztin Paul schätzt, dass bei 60 bis 70 Prozent ihrer Patientinnen diese Schutzfunktion für die Haare erfolgreich ist. Das bedeutet, dass die Patientinnen nur einen geringen Haarverlust von etwa 20 bis 30 Prozent hinnehmen müssen. Warum die Therapie bei den anderen 30 bis 40 Prozent nicht so gut angeschlagen hat, könne man noch nicht genau erklären. Dafür müssten zuverlässige Studien durchgeführt werden, die belegen, bei welchen Chemotherapien die Haube gut wirkt und bei welchen nicht. Auf die mangelhafte Studienlage verweist man auch beim Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums. Die bisherigen Forschungen zur Wirksamkeit der Kühlhaube hätten keine gute Qualität, sagt Birgit Hiller, stellvertretende Leiterin des Informationsdienstes und Biologin. Einige Studien waren zu kurz angesetzt, sodass man nicht absehen kann, ob Patientinnen langfristig nicht auch Nachteile durch die Kühlhaube hatten. Andere Studien beinhalten keine relevanten Vergleichswerte dazu, wie sehr der Haarausfall tatsächlich gebremst wurde. Dass die Behandlung wirkungslos ist, sei aber ebenso wenig nachgewiesen. Wieder andere Studien hatten eine zu hohe Abbrecherquote, die darauf hinweist, dass die Kühlhauben für die Patientinnen auch sehr unangenehm sein können. „Besonders Patientinnen, die auch mit Migräne Probleme haben, tolerieren die Kühlhaube eher nicht“, sagt Brustkrebsexpertin Marion Paul. Andere störe das brummende Geräusch des Kühlaggregats, das die Haube mit Flüssigkeit versorgt.

„Ich finde, es ist ein nennenswerter Erfolg, dass bei zwei von drei unserer Brustkrebspatientinnen die Haare erhalten werden können und sie keine Perücke tragen müssen“, sagt Paul. Die unsichere Studienlage ist jedoch ein Grund, warum Gesetzliche Krankenkassen die Kühlhaube bisher nicht zahlen. Eine Sitzung kostet Patienten rund 87 Euro, für die Dauer einer gesamten Chemotherapie muss man mit etwa 1400 Euro rechnen.

Weitere Artikel zum Thema Krebs finden Sie im Magazin „Tagesspiegel GESUND“, Ausgabe 10. Es kostet 6,50 und ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop, www. tagesspiegel. de/Shop, Tel. 29021-520

Von Anna Ilin

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