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Europa ist Teil unserer Identität, schreibt Burkard Dregger.

© picture alliance / Kirsty Wigglesworth/AP/dpa

Europaklausel in der Berliner Verfassung: Die europäische Idee in den Herzen der Menschen verankern

Es geht nicht darum, die deutsche durch eine europäische Identität zu ersetzen. Die neue Klausel spiegelt das Selbstverständnis unserer Stadt und unseres Landes wider. Ein Gastbeitrag.

Stand:

Burkard Dregger ist Vorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

Ein Bekenntnis zu Europa in der Verfassung von Berlin? Heute, angesichts der vielfältigen Kritik an der EU, angesichts des Brexit und vieler Schwierigkeiten, auch bei der Impfstoffbeschaffung. Ja, es ist richtig: Die EU ist nicht perfekt. Es gibt Reformbedarf. Aber wollen wir es zulassen, dass Kräfte am ganz rechten Rand das europäische Einigungswerk infrage stellen?

Mein Vater sagte mir immer: „Das Schicksal Europas ist untrennbar verbunden mit dem Schicksal Deutschlands, und das Schicksal Deutschlands ist untrennbar verbunden mit dem Schicksal Europas.“ Der Blick in die deutsch-europäische Geschichte gibt ihm recht: Solange Berlin eine geteilte Stadt und Deutschland ein geteiltes Land war, solange war auch Europa ein geteilter Kontinent.

Aber auch die Anfänge unserer deutsch-europäischen Geschichte zeigen, was ich als „europäische Dimension der deutschen Identität“ bezeichnen möchte. Deutsche und Franzosen waren, wie Thomas Mann es ausdrückte, „im Mutterschoße der Zeiten“ eins.

Sie sind nicht nur Nachbarn, sondern sie sind Geschwister, hervorgegangen aus demselben Reich Karls des Großen. Seine Krönung zum römischen Kaiser am Weihnachtstag des Jahres 800 durch den Papst in Rom war der Grundstein für eine supranationale Entwicklung, die in unsere Geschichte als Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation eingegangen ist und die lange Phase bis 1806 beschreibt.

Noch heute wird in dieser Tradition der Karlspreis der Stadt Aachen verliehen für diejenigen, die sich um Europa besondere Verdienste erworben haben. Europa ist Teil unserer deutschen Identität, seit den Anfängen unserer eigenen Geschichte.

Burkard Dregger.

© Kai-Uwe Heinrich

Die europäische Dimension der deutschen Geschichte erkennen

Es geht nicht darum, die deutsche durch eine europäische Identität zu ersetzen, wie einige ganz links meinen und einige ganz rechts befürchten. Sondern es geht darum, die europäische Dimension der deutschen Identität zu erkennen. Ein starkes Europa ist im Interesse unseres Landes. Blicken wir über den begrenzten Tellerrand unserer tagespolitischen Herausforderungen.

Glaubt irgendjemand, die großen globalen Herausforderungen des Klimaschutzes könnten in Berlin oder in Deutschland allein gemeistert werden? Glaubt irgendjemand, die Herausforderungen internationaler Migrationsbewegungen könnten an der deutschen Außengrenze bewältigt werden? Glaubt irgendjemand, wir Deutschen könnten unsere Sicherheit angesichts jüngster russischer Truppenmassierungen an der ostukrainischen Grenze allein gewährleisten?

Glaubt irgendjemand, wir könnten im weltpolitischen Wettbewerb mit dem überaus expansiven China unsere Interessen als Deutsche allein wahren?

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Führen wir uns vor Augen, dass die Europäische Union den größten Wirtschaftsraum der Welt darstellt und dass das ein Pfund ist in den internationalen Freihandelsbestrebungen, die für die deutsche Exportwirtschaft und damit für die deutschen Arbeitsplätze und den deutschen Sozialstaat so wichtig sind.

Europa ist eine Werte- und Kulturgemeinschaft. Sie gründet auf der Einzigartigkeit des Menschen, auf seiner Menschenwürde und auf den Freiheitsrechten eines jeden Einzelnen. Wer sich an die Zeit vor dem Mauerfall erinnern kann, der weiß, dass Polen und Ungarn und die anderen osteuropäischen Völker trotz des ihnen aufgezwungenen sozialistischen Unrechtsregimes größten Wert darauf gelegt haben, nicht nur geografisch, sondern auch geistig-kulturell zu Europa zu gehören. Nicht ohne Grund haben sie nach dem Mauerfall den direkten Weg in die Europäische Union gefunden.

Das polnische Volk sehnte ein freies Europa herbei

Ich hatte 1985, also noch vor dem Fall der Berliner Mauer, das Privileg, als junger Student als Begleiter meines Vaters in Krakau Wladyslaw Bartoszewski zu treffen. Er hatte das Konzentrationslager Auschwitz überlebt, wurde nach Kriegsende von den Kommunisten insgesamt sechs Jahre inhaftiert, schloss sich später der Gewerkschaft Solidarnosc an, kam nach der Verhängung des Kriegsrechts erneut in Haft, bevor er nach der Befreiung vom Kommunismus polnischer Außenminister wurde.

Ein beeindruckender Mann, der für mich ein politisches Vorbild wurde. Er hat mir damals vermittelt, wie sehr das polnische Volk ein freies und ein rechtsstaatliches Europa mit einem souveränen Polen als gleichberechtigten Teil herbeigesehnt hat – und was es bedeutet, wenn wir von Europa als Werte- und Kulturgemeinschaft sprechen. Diese Werte- und Kulturgemeinschaft entspricht auch unserem Selbstverständnis in Berlin.

Für den Erfolg Europas wollen wir die europäische Idee in den Herzen der Menschen verankern. Daher möchte meine Fraktion die neue Europaklausel in der Verfassung von Berlin mit Leben erfüllen. Wir möchten, dass die Berlinerinnen und Berliner Europa kennen- und lieben lernen können.

Daher wollen wir an unseren Schulen den Sprachunterricht europäischer Sprachen ausbauen. Wir wollen unsere Europaschulen auf alle Berliner Bezirke ausdehnen. Wir wollen unseren Studenten Europasemester in europäischen Ländern ermöglichen und dort Praktika vermitteln. Wir möchten unseren europäischen Freunden Gleiches in Berlin ermöglichen und den kulturellen Austausch fördern.

Der diesjährige Europatag am heutigen 9. Mai ist Startschuss für eine Konferenz zur Zukunft der Europäischen Union. Mögen sich möglichst viele Berlinerinnen und Berliner daran beteiligen. Damit Europa zukunftsfähig bleibt. Das ist im Interesse unseres Landes.

Burkard Dregger

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