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Jim Mandich von den Miami Dolphins empfängt am 14. Januar 1973 den spielentscheidenden Pass im Super Bowl VII gegen die Washington Redskins.

© picture alliance / AP / Anonymous

Die Jagd nach der Perfektion : Warum fast alle nach dem Unmöglichen streben

Eine perfekte Saison gilt in vielen Teamsportarten als die allerhöchste Kür. Etliche Teams und Fans zerbrachen daran – und dennoch wird nach ihr gelechzt.

Stand:

14. Januar 1973. American Football, Super Bowl im L.A. Coliseum. 90.000 Fans im Stadion und 50 Millionen vor dem Fernseher. Heute könnten die Miami Dolphins Geschichte schreiben – nicht nur mit dem ersten Titelgewinn, sondern der ersten perfekten Saison im modernen Football. 16 Siege gab es schon, nur einer fehlte noch. Im Weg des Defensiv-Bollwerks standen allerdings die vor Selbstbewusstsein strotzenden Washington Redskins.

Dass die Dolphins trotz perfekter Bilanz kurz vorm ganz großen Wurf zittrig wurden, zeugt von der Einzigartigkeit ihrer Situation. Schon im Vorjahr standen sie im Finale und dennoch betraten sie diesmal völliges Neuland. Denn Titel gibt es im Sport viele, doch Perfektion ist einzigartig. Wer sie erreicht, wird unsterblich.

Geschafft haben das selbst disziplinübergreifend nur eine Handvoll Teams. Im deutschen Vereinsfußball wurde dieser Erfolg lediglich dem Dresdner SC in den Kriegssaison 1942-43 zuteil, als sie alle 28 Ligaspiele und die Deutsche Meisterschaft gewannen.

Abgesehen von den heutzutage nur schwer einzuordnenden Sporterfolgen im Nationalsozialismus sticht der FC Bayern München hervor, der in der COVID-gekürzten Champions-League-Saison 2019/20 als bisher einziges Team alle elf Spiele gewann. Den Handballern vom THW Kiel gelang 2011/12 sogar eine perfekte Saison mit 34 Ligaspielen.

Taktieren und Brillieren

Böse Zungen mögen behaupten, im Sport zähle einzig und allein der Titel. Wenn Perfektion nicht auf dem Spiel steht und sich Topspieler durch Nichteinsatz sinnvoll schonen können, mag das stimmen. Doch wer absichtlich seine Siegessträhne aufgibt, dem droht ohne letztlichen Titelgewinn gleich ein doppeltes Debakel. Denn weder buhende Fans noch die Sportgötter blicken gütig auf diese Taktik – und selbst Experten sind sich uneins, ob sie aufgeht.

„Perfektion kennt keine Abstufungen. Am Ende trinkt nur ein Team den Champagner.“

Larry Csonkas (Spieler der Miami Dolphins 1972/73)

In der NFL-Saison 2009 gewannen sowohl die New Orleans Saints (13 Siege) als auch die Indianapolis Colts (14) fast bis zu den Playoffs jedes Spiel. Die Saints verloren ihr 14. Spiel trotz bester Bemühungen. Die Colts schmissen im 15. Spiel allerdings absichtlich hin, als Coach Jim Caldwell sich dazu entschied, seinen Quarterback und einige Stammspieler im Spiel gegen die New York Jets zu schonen. Die Quittung kam prompt: Während es für die Revanche im Konferenzfinale noch für einen Sieg reichte, unterlag man am Ende im Super Bowl. Der Bezwinger: die „unausgeruhten“ New Orleans Saints.

Ein ähnliches Schicksal ereilte die Green Bay Packers am 15. Januar 2012. Nachdem man die Saison phänomenal mit 14 Siegen und nur einer Niederlage begonnen hatte, ließ Trainer Mike McCarthy auch hier seinen Star-Quarterback Aaron Rodgers im letzten Ligaspiel ruhen. Selbst mit dem B-Team reichte es noch für den Sieg. Der Schachzug brachte Rodgers drei Wochen Spielpause bis zu den Playoffs. Doch eben jene Ruhezeit sollte sich als fatal entpuppen.

Rodgers gilt als einer der effizientesten Quarterbacks in der NFL-Geschichte, Green Bays damalige Offensive als legendär, und dennoch lief sie gegen die New York Giants völlig ins Leere. „Die Verteidigung der Giants ließ Rodgers wie den Typen aussehen, der seit Weihnachten nicht mehr Football gespielt hat“, brachte es ESPN-Sportreporter Ian O’Connor auf den Punkt.

Im Haifischbecken

Heute vor 50 Jahren fand die Jagd nach der perfekten Saison für die Miami Dolphins ihr Ende. Bob Griese stand wieder auf dem Feld. Ein Jahr zuvor führte er Miami bereits zum Super Bowl und wurde dort von den Dallas Cowboys regelrecht auseinandergenommen. Diesmal wollte er den Spieß umdrehen. Auf dem Spielfeld entsprang eine Defensivschlacht, in der beide Teams kaum Chancen zuließen. Doch Griese war nicht zu bändigen und fand seine Anspielpartner. Pass auf Warfield, Raumgewinn, Pass auf Twilley, Touchdown, Field Goal, 7 zu 0. Im zweiten Viertel gleiches Spiel mit Mandich, der sich bis kurz vor die Endzone reckte. 14 zu 0 zur Halbzeit.

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In der zweiten Hälfte wich Verstand beinahe schon Übermut. Die Dolphins wollten Spiel 17 mit 17 zu 0 gewinnen und brauchten dafür ein Field Goal. Der exzentrische Kicker Garo Yepremian sollte es richten – und setzte seinen Antritt legendär in den Sand. Auf einmal stand es 14 zu 7 und nur ein Touchdown trennte Washington nun von der Verlängerung. Doch das Bollwerk hielt stand.

Zum geflügelten Wort wurden Larry Csonkas Impressionen zum Spiel. „Perfektion kennt keine Abstufungen“, sagte der Dolphins-Fullback der Saison 1972/73. „Entweder du schaffst es oder nicht, denn am Ende trinkt nur ein Team den Champagner.“ Den trinken einige der verbleibenden Dolphins-Spieler angeblich bis heute – jedes Mal, wenn eine bislang perfekte Saison eines NFL-Teams zerbricht. 

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