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Regional und saisonal, so kaufen und kochen auch immer mehr Deutsche gerne. Mit eingewecktem Obst und Gemüse ist das kein Problem.

© Foodcollection/Mauritius Images/ mauritius images

Tagesspiegel-Konferenz zur globalen Ernährung: Die neue Bodenständigkeit

Der Trend zur regionalen Küche kam aus Skandinavien. Es geht dabei auch um ethische Fragen.

Früher war alles einfacher beim Kochen: Es gab die bodenständige, einfache Regionalküche und die feine, meist nach französischem Vorbild zubereitete Gourmetküche. Dieses Muster steht seit etwa zehn Jahren auf dem Kopf. Denn in den am besten bewerteten und am meisten diskutierten Restaurants der Welt wird fast ausnahmslos neo-regional gekocht, während die französische Küche in die einfacheren Bistros abgerutscht ist.

Im Gegensatz zu anderen kulinarischen Trends lässt sich der Start dieser so genannten Nova-Regio-Küche ziemlich genau festlegen: Es war 2004, als das von Claus Meyer, Rene Redzepi und anderen skandinavischen Köchen formulierte Manifest der nordischen Küche unterzeichnet wurde. Es besagte: Fortan werde man nicht mehr irgendwelche Küchenrichtungen der Welt nachahmen, sondern neue Gerichte entwickeln auf Basis aller Produkte, die in unmittelbarer Umgebung gedeihen. Keine Gänsestopfleber mehr und kein Mittelmeerfisch, keine bretonischen Hummer und kein US-Rindfleisch – aber was stattdessen?

Das Problem erwies sich als lösbar. Ehrgeizige Landwirte stiegen ein, Köche wurden selbst zu Gärtnern. Redzepis „Noma“ in Kopenhagen brachte es rasch zu zwei Michelin-Sternen und dem Titel „Bestes Restaurant der Welt“, zahllose andere Köche in Kopenhagen und dem Rest Skandinaviens zogen nach. Zwei der unter reisenden Gourmets begehrtesten Reiseziele sind das „Koks“ auf den Färöer Inseln und das „Fäviken“ am schwedischen Polarkreis, und im Bornholmer „Kadeau“ wird praktisch nur mit den Produkten der Ostseeinsel gekocht – genug für einen weiteren Michelin-Stern. Die Revolution ging aber weiter: Die Neue Küche hing erstmals nicht mehr von einer bestimmten Region wie Frankreich und nicht mehr von spezifischen Techniken wie der „Molekularküche“ ab, sondern lieferte nur die Blaupause für ein praktisch überall individuell anwendbares Modell.

Sie folgen dem Konzept "Nose to Tail" - werfen also so wenig wie möglich weg

Es geht bei solchen Konzepten natürlich nicht nur um kulinarische, sondern auch um ethische Fragen. Die Küchenchefs wollen überflüssige Transporte vermeiden (wenngleich die Ökobilanzen oft gar nicht so simpel sind), sie verkleinern die Portionen und schrauben den Anteil tierischer Produkte herunter; wo sie sie doch verwenden, da folgen sie dem Konzept „Nose to Tail“, werfen also so wenig wie möglich weg. Außerdem entdecken sie altmodische Techniken wie das Fermentieren, Einwecken, Räuchern oder Trocknen neu, mit denen sie die Engpässe der Wintersaison ohne die verpönte Tiefkühlung überbrücken – nicht immer zum geschmacklichen Vorteil. In Kopenhagen ging eine Zeit lang der Spott über die „Geschmackspolizei“ um, über Köche, die sich sogar darüber mokierten, wenn Kollegen noch Zitronensaft oder Olivenöl verwendeten. Tatsächlich erklärt sich der Siegeszug der früher als Gesundheitstrank verpönten Molke damit, dass sie regional korrekte Säure liefert.

Gerade im Winter wird es in nördlichen Breiten dennoch mühsam, das ist der Grund, warum alte, als rustikal und schwerverdaulich verrufene Gemüse wie der Grünkohl auf dem Umweg über skandinavische Speisekarten in der ganzen Welt populär wurden; ohne Rote oder Gelbe Bete, die früher als Sauerkonserven verramscht wurden, funktioniert kaum noch ein ambitioniertes Restaurant. Redzepi und seine Kollegen machten den Sauerklee zum Feldzeichen der neuen Küche. Beim Nachahmen radikalerer Ideen wie dem Einsatz von pürierten oder sogar lebenden Ameisen oder getrockneten Mehlwürmern sind die meisten Köche allerdings deutlich zurückhaltender.

In Deutschland ist Berlin das Zentrum der Bewegung – durchaus überraschend, denn die sandige Mark Brandenburg ist nicht unbedingt ein Gemüsegarten, hier geht es allemal mehr um Masse als um Qualität. Doch die neugierigen Köche sind hier, solche wie Micha Schäfer („Nobelhart und Schmutzig“), Dylan Watson-Brawn („Ernst“), Sebastian Frank („Horvath“) oder Marco Müller („Rutz“), denen es gelungen ist, ein Netz von qualitätsbewussten Erzeugern aufzubauen, von Erzeugern zudem, die auf individuelle Wünsche eingehen. Auf dieser Basis ist mehr Vielfalt möglich, als es auf den ersten Blick scheint. Während Schäfer und Watson-Brawn ganz und gar auf den natürlichen, unverfremdeten Geschmack saisonal verfügbarer Zutaten Wert legen, arbeitet Müller eher am Rande der Saison mit komplexen Zubereitungen auf Basis fermentierter und eingeweckter Produkte; ähnlich ist es auch bei Frank, der zudem seinen Fokus auf österreichische und osteuropäische Inspirationen legt und dabei extrem viel experimentiert. Sein Markenzeichen ist beispielsweise die im Salzteig gebackene und später über viele Monate darin getrocknete Sellerieknolle, die später wie ein Trüffel über frische Selleriezubereitungen gerieben wird.

Mit angestoßenem Gemüse oder Käseresten werden Dumplings aller Art gefüllt

Die Idee dahinter ist die Suche nach „Umami“, dem natürlichen Glutamat-Geschmack, der auch in asiatischen Basisprodukten wie Soja oder Miso zu finden ist. Erlaubt sind sie im strengen Kanon der Regionalküche allerdings nur dann, wenn sie auch in der Region hergestellt werden – das hat bei uns völlig neue Geschäftsmodelle ins Leben gerufen.

Dieser veränderte Umgang mit vertrauten Produkten hat die Küchen der trendsetzenden Restaurants längst verlassen. Denn ein Geschäftsmodell wie das des Berliner Startups „Dingsdums Dumplings“ wäre ohne diesen Vorlauf überhaupt nicht denkbar. Hier werden gerettete Lebensmittel aller Art, abgelaufene Produkte, angestoßenes Gemüse oder Käsereste zu Füllungen für „Dumplings“, also gewissermaßen asiatisch stilisierte Ravioli, verarbeitet. Es gibt sie auch mit Bratwurst und Sauerkraut.

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