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Die Spuren des Brandes am Montagmorgen.

© Michael Kappeler/dpa

Feuer in Onkel Toms Hütte: Die U-Bahn hält wieder – und die Leute halten zusammen

Der Brand im U-Bahnhof Onkel Toms Hütte hat der bekannten Ladenstraße schwer zugesetzt. Viele Geschäfte sehen einer ungewissen Zukunft entgegen.

Es ist nicht irgendein Berliner U-Bahnhof, der am vergangenen Sonntag in Flammen aufgegangen ist. Den Anwohnerinnen und Anwohnern rund um Onkel Toms Hütte in Zehlendorf dient die Haltestelle nicht nur als direkte Anbindung zur Innenstadt, sondern ist zugleich eine wichtige Einkaufsmöglichkeit.

Der vom berühmten Architekt Alfred Grenander entworfene und 1926 erbaute Bahnhof wurde ab 1931 durch eingeschossige Ladenpassagen zu beiden Seiten der Gleise ergänzt. Zu jener Zeit war das Konzept hinter Onkel Toms Hütte einzigartig, bis heute ist es zumindest außergewöhnlich.

Etwas mehr als 30 Läden sorgen normalerweise für reges Treiben im U-Bahnhof. Das Angebot reichte von kleinen Bistros und einer Aldi-Filiale bis hin zum Elektrofachhandel. Nun hat ein Feuer Bedrückung in der Ladenstraße ausgelöst. Vor allem im Nordteil des Bahnhofes haben die Flammen gewütet: Insgesamt acht Läden müssen aufgrund von Brandschäden vorerst geschlossen bleiben.

Wenigstens für die Fahrgäste gab es am Mittwoch eine gute Nachricht: Ab Donnerstagmorgen kann die U3 ab Donnerstagmorgen wieder planmäßig fahren, der Schienenersatzverkehr ist nicht mehr nötig. „Ein sicherer U-Bahnbetrieb ist nach einer gründlichen Begutachtung gewährleistet“, teilte die BVG am via Twitter mit - schneller als gedacht. „Nur kleine Bereiche des Bahnhofs bleiben vorerst noch abgesperrt, der Fahrgastverkehr ist aber nicht beeinträchtigt.“

Wenn ein Café zur „Therapieanlaufstelle“ wird

Thomas Schwarz hat Glück gehabt. Sein Café „Toms Kaffeerösterei“ liegt auf der südlichen Seite der Ladenstraße und kann seit Dienstag wieder Kundschaft begrüßen. Nach dem Brand habe sich sein Café in eine Art „Therapieanlaufstelle“ entwickelt, sagt der 59-Jährige: „Die Kunden freuen sich ganz besonders über den Kaffee, weil er den Geruch nach Verbranntem ein bisschen übertüncht.“

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Am Sonntagabend war Schwarz vor Ort und musste dabei zusehen, wie sich das Feuer in Onkel Toms Hütte ausbreitete. Auch Teile der Nachbarschaft hatten sich um den Brandort versammelt und verfolgten entsetzt das Geschehen. „Die Leute haben geweint“, erinnert sich der Cafébetreiber.

Eine Passage mit „Leib und Seele“ - als Gegenstück zur Mall

Im Kiez lebten vor allem ältere Leute, auch wenn sich das gerade ein bisschen im Wandel befinde. Einige von ihnen seien sogar hier geboren worden. Laut Schwarz besitzen die meisten seiner Stammkunden kein Auto und kommen deshalb in die Ladenstraße: „Der normale Autofahrer fährt am U-Bahnhof ja einfach vorbei, ohne zu wissen, was da vor sich geht.“ Wer sich dann doch mal verirre, sei meist überrascht. Die Ladenstraße biete das Gegenbild zur modernen Mall, sei eine Einkaufspassage mit „Leib und Seele“.

Keine gewöhnliche Passage: Der geschmückte Eingang im Juli 2020.
Keine gewöhnliche Passage: Der geschmückte Eingang im Juli 2020.

© Kitty Kleist-Heinrich

Das Schicksal der betroffenen Läden stimmt Schwarz nachdenklich: „Es hätte ja auch uns treffen können.“ Für die nächsten Monate hatte er für sein Café den Umzug in einen größeren, leerstehenden Laden auf der Nordseite des Bahnhofs geplant. Und tatsächlich wurde dieser vom Brand verschont. Nun überlegt Schwarz, den eigenen freiwerdenden Laden an eines der betroffenen Geschäfte zu übergeben.

Kein Zutritt zum Laden - wegen Einsturzgefahr

Unter dem Dach von Onkel Toms Hütte herrscht Gemeinschaftssinn. Auf der Suche nach einem passenden Ort für sein neues Geschäft war das auch Loti Pantón aufgefallen. Der 30-Jährige studierte klassische Musik in der Hauptstadt, bevor er seine Leidenschaft für französische Baiserkekse, die Macarons, zum Beruf machte.

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Sein positiver Eindruck von der Ladenstraße bestätigte sich schnell nach der Eröffnung seines Ladens im April. „Wir haben direkt Anschluss gefunden in der Nachbarschaft“, sagt er. In kürzester Zeit habe sich eine treue Stammkundschaft gebildet.

Dem jungen Glück hat nun das Feuer vorerst ein jähes Ende bereitet. Pantóns Laden ist einer derjenigen, die nach dem Brand noch nicht wieder öffnen können. Darüber, wie hoch die Schäden in seinem Geschäft ausgefallen sind, hat der Betreiber keine Informationen. Der Zutritt zu seinem Laden wurde ihm bisher aus Sicherheitsgründen verwehrt. Zu hoch ist die Einsturzgefahr, die den Behörden zufolge vom nördlichen Teil des Gebäudes ausgeht, der vom Feuer schwer beschädigt wurde.

Nach dem Feuer in der Ladenpassage des U-Bahnhofs ist der Verkehr auf der U3 weiter eingeschränkt.
Nach dem Feuer in der Ladenpassage des U-Bahnhofs ist der Verkehr auf der U3 weiter eingeschränkt.

© Michael Kappeler/dpa

Immerhin hat der „nahkauf“ dort am Mittwoch schon wieder eröffnet. Der Verein der Ladenbetreiber listet auf seiner Website alle Läden auf, deren Betrieb weitergeht. Auch Onkel Toms Wochenmarkt werde wie an jedem Donnerstag von 12 bis 18.30 Uhr auf dem Platz vor der Einkaufspassage stattfinden. Für den Nachmittag hat sich zudem Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski bei den Betroffenen angekündigt, um ihre Unterstützung anzubieten.

Die kann vielleicht auch Loti Pantón gebrauchen. „Wir haben nur von außen sehen können, dass die Fenster kaputt sind und die Tür mit Holzplatten zugenagelt wurde“, sagt er. Für die Sicherheitsmaßnahmen der Behörden habe er jedoch vollstes Verständnis.

Der Schock unter den Anwohnern sitzt tief

Erst vor Kurzem hatte der Bäcker sein Geschäft renovieren lassen. Gastronomen aus der ganzen Stadt wollen ihm nun vorübergehend ihre Küchen zur Verfügung stellen. „Diese Solidarität hat uns einfach überwältigt“, sagt Pantón. Eventuell könne er mithilfe der Unterstützer die bereits eingegangenen Bestellungen für Weihnachten noch abarbeiten. Konkrete Pläne seien allerdings unmöglich, solange das Ausmaß der Schäden noch nicht geklärt sei.

Zuallererst steht für den Bäcker aber die emotionale Aufarbeitung im Fokus. Das Feuer hat Läden getroffen, die schon seit Jahrzehnten in Onkel Toms Hütte ihrer Arbeit nachgehen. „Für alle, die diese meterhohen Flammen miterlebt haben, war es ein einschneidendes Erlebnis“, ist sich Pantón sicher. Mit den Gedanken sei er erst einmal bei den Verletzten, die Zukunft des eigenen Ladens rücke da in den Hintergrund.

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