
© Emmanuele Contini
Kontaktsport drinnen verboten: Diese Fechter trainieren jetzt im Berliner Kleistpark
Seit November fechten Carolyn Schwab und Vincent Thormälen statt in der Halle im Kleistpark. Dabei machen sie auch neue Trainingserfahrungen.
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Waren das nicht gerade Fechter, die unter den Bögen zu sehen waren? Weiß gekleidet und mit Maske und Florett? Es ist keine Einbildung, noch nicht einmal eine Filmaufnahme. Unter den Königskolonnaden im Kleistpark sind tatsächlich mehrfach wöchentlich Carolyn Schwab und Vincent Thormälen beim Fechttraining zu sehen. Klingen voran, ein sehr schnelles Hin und Her zwischen den mächtigen Säulen. Ein Foto mit dem Smartphone ist kaum möglich.
Schon mal gar nicht in der dunkleren Jahreszeit, in der die beiden zwei Mal wöchentlich im dramatischen Hell-Dunkel unter den Bögen aus dem späten 18. Jahrhundert fochten. Die 24-jährige Chemie-Studentin und der 31-jährige Zahnarzt wollten das Training, das coronabedingt im FC Südwest in der Halle ausfallen musste, nicht aufgeben. Joggen allein reichte ihnen nicht.
Eine Fechtfreundin machte die beiden auf eine geeignete, wenn auch unübliche Fechtbahn aufmerksam: Gleich gegenüber Vincent Thormälens Wohnung an der Potsdamer Straße, unter den Königskolonnaden. „Dach, Licht, kein Gras und relativ guter Boden“, sagt Carolyn Schwab. „Perfekt.“
Der spezielle Ort ist für die beiden Sportler pragmatisch, weniger romantisch: „Zu Anfang hast du gedacht: Oh cool, historisch“, sagt Vincent Thormälen. „Jetzt denkst du: Erst mal Scherben wegmachen.“ Vor ihren anderthalb bis zweistündigen Fechteinheiten wärmen sich die beiden mit einer halben Stunde Joggen auf. „Wir ziehen uns bei mir oben um und gehen rüber“, sagt Thormälen. Trainiert wird montags und freitags, seit Anfang April auch alle zwei Wochen mittwochabends.
Die Kolonnaden verlangen bei aller Erhabenheit den Sportlern besondere Aufmerksamkeit ab. „Wir laufen häufig ineinander“, sagt Carolyn Schwab. „Viele Aktionen zielen normalerweise darauf ab, dass man seitlich ausweicht.“
Beide opferten bereits eine Klinge
Der Boden federt im Gegensatz zum Hallenboden nicht. Das geht auf die Gelenke. Und Stein ist, egal wo, widerständiger als Luft. „Vincent ist schon mal im Stein hängengeblieben.“ Beide opferten jeder bislang eine Klinge. Die beiden nutzen unter den Kolonnaden keine hochwertigen Wettkampfklingen, die bis zu 200 Euro kosten können. Einfachere Modelle für 20 bis 30 Euro müssen reichen.
Die Klingen fürs Sportfechten sind so gefertigt, dass sie verletzungsfrei brechen. Das ist von den Organisationen vorgeschrieben. „Fechten ist eigentlich ein Kampfsport, ein gefährlicher Sport“, sagt Carolyn Schwab. „Deshalb ist er auch einer der sichersten. Das Bewusstsein dafür ist hoch. Ohne Maske läuft gar nichts. Augen und Hals müssen immer geschützt sein“, sagt sie.

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„Sollen wir einmal die 15 machen?“, fragt Schwab ihren Fechtpartner. Wer zuerst 15 Treffer im Gefecht erreicht, hat gewonnen. „Tempo und Intensität zählen, das merkt man.“ Sportlich fällt unter den Kolonnaden allerdings Gewohntes weg: Es ist kein Trainer vor Ort, der korrigiert oder über unklare Treffer entscheidet. Ohne Elektroweste und -spitze müssen sich die beiden viel stärker auf die eigene Wahrnehmung verlassen.
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Die beiden trainieren so seit November 2020. Und zwar ausschließlich miteinander. Das ist ein Problem. Die Trainingspartner sind sich in ihrer Art zu fechten eigentlich zu vertraut. Umgekehrt bedeutet das: mehr Anstrengung, um zu überraschen und einen Treffer zu setzen. „Normalerweise gilt: Mit je mehr Leuten du fechtest, desto besser ist das“, sagt Carolyn Schwab. Im Vereinstraining treten alle gegeneinander an. Bei größeren Turnieren können mit Vorrunden und im K.-o.-System bis zu 20 Gegner an einem Tag zusammenkommen.
Carolyn Schwab kam vor zweieinhalb Jahren beim Unisport in Schottland zum Degenfechten, wechselte dann nach einem dreiviertel Jahr zum Florett. In Berlin trainiert sie beim FC Südwest und zusätzlich zweimal wöchentlich im FC Grunewald. „Fechter sind unheimlich nett, gebildet und offen“, stellte Schwab fest, die vorher Fußball gespielt hatte. „Jeder scheint willkommen zu sein.“
Fechten sei kein billiger Sport. „Aber Vorurteile, wie Fechten sei elitär und nur etwas für Reiche, stimmen nicht.“ Gerade am Anfang und an den Unis könne das Equipment geliehen werden.
Fast niemand darf in die Hallen
Im Berliner Fechterbund gibt es aktuell 16 Clubs mit 1400 Mitgliedern. Derzeit darf aber außer Kadersportlern fast niemand in die Hallen. „Fechten wird als Kontaktsportart eingestuft“, sagt Landestrainer Aris Enkelmann. Derzeit bleibe den meisten nur selbstorganisiertes oder Online-Training. Inwiefern sich die Regeln schon bald ändern, ist noch unklar.
„Fechten ist ein technisch und mental anspruchsvoller Sport, aber mit grundsätzlich einfachen Regeln“, sagt Carolyn Schwab. Beim Florettfechten heißt das: Wer das Angriffsrecht hat, kann den Punkt erzielen. Vor eineinhalb Jahren erst habe sie begonnen Turniere zu fechten. Dann kam Corona. „Ich bin sehr dankbar, dass Vincent mit mir ficht, dass ich nicht alles wieder verliere.“
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Vincent Thormälen ist bereits seit 20 Jahren im FC Südwest. Er ficht aber keine Turniere. Wie auch für Schwab ist für ihn der Sport Ausgleich zur Arbeit. „Man muss sich sehr darauf fokussieren. Wenn ich fechte, kann ich nicht an den Job oder ans Einkaufen denken“, sagt er.
Carolyn Schwab ist wohl ein Naturtalent. Andere würden von Ehrgeiz reden, sie spricht von „viel Arbeit“, die sie ins Fechten stecke. „Ich setze mich nach jedem Gefecht sehr stark damit auseinander, welche Fehler ich gemacht habe.“ Jeden Tag außer samstags treibe sie Sport. Fechten verlangt nach Schnelligkeit und Koordination, aber auch nach viel Kraft in den Beinen.
Carolyn Schwab sagt: „Der Sport liegt mir wohl ziemlich. Ich habe Leute geschlagen, die schon sehr lange dabei sind.“ Das erlebte auch Vincent Thormälen. „Mit Caro musste ich eine Kohle drauflegen, obwohl ich das zehn Mal so lange mache. Sie ist mir exakt ebenbürtig. Wenn ich einen guten Tag habe.“
Wie lange die beiden noch unter den Kolonnaden anstelle in der Halle trainieren, wird Corona weisen. Eine Erkenntnis brachte das seit November durchgängige Außentraining: „Es ist erstaunlich, wie viel Sport man bei Minusgraden machen kann, wenn man richtig angezogen und in Bewegung ist“, stellte Vincent Thormälen fest. „Ich bin sehr gespannt, wie es jetzt bei Hitze wird.“ Nur ein Wetter geht nie, ganz gleich ob bei Kälte oder Wärme: Bei Regen fällt das Outdoorfechten aus. Eine Rutschbahn kommt für die beiden als Untergrund, bei aller Flexibilität, nicht in Frage.
Ute Schirmack
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