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Berlin: Dietrich Lückoff (Geb. 1957)

Und wen, bitteschön, interessiert Meusebach?

Der Friedensvertrag zwischen den Komantschen und Ottfried Hans Freiherr von Meusebach, geschlossen am 9. Mai 1847, war der einzige Pakt zwischen Siedlern und Indianern, der nie gebrochen wurde. „Ich schätze meine roten Brüder nicht geringer, weil ihre Haut dunkler ist, und ich halte nicht mehr vom Volk der Weißen, nur weil ihre Hauptfarbe heller ist.“ Ein Mann, ein Wort. Sein Vater Karl Hartwig Gregor von Meusebach war da ganz anderer Ansicht. Er war ein Mann der vielen Worte, gern auch der kalauernden, was seiner Gelehrsamkeit keinen Abbruch tat.

Dietrich Lückoffs Schicksal wiederum war auf seltsame Weise mit beiden Meusebachs verknüpft. Er stammt aus jenem Ort in Hessen, in dem auch Ottfried von Meusebach geboren wurde, Dillenburg nämlich, und ähnlich wie diesen zog es ihn zu den Indianern, so sie im Werk Karl Mays auf Kriegspfad zogen, und bald darauf in die weite Welt. Zunächst nach Marburg, wo er seine Bindung an die Religion ein wenig lockerte und sich in den Künsten des Chansons, des Gitarrenspiels, des Verseschmiedens und der romanistischen Sprachwissenschaft übte. Aber Troubadoure leben unstet. Er zog weiter nach Berlin, der steinige Weg zur akademischen Gelehrsamkeit schien vorgezeichnet, ein Professorentitel winkte mit dürrer Hand, aber so ganz wohl war ihm dabei nicht. „Was ist mit uns geschehen seit der Zeit / Da wir mit roten Ohren Taschenlampen / Nahmen, Bücher unter die Bettdecke / Und volle Segel voraus.“

Dietrich Lückoff schrieb nebenbei fürs Radio, schauspielerte ein wenig, dichtete, zeichnete, sang die Lieder von Brel und Bresson, kurzum, er tat alles, was von den Herrn Professoren gemessen an ihrem eigenen Tun gering geschätzt wurde. Aber er schrieb auch eine grundgelehrte Doktorarbeit über den hierzulande völlig unbekannten Valery Larbaud, einen homme de lettres, der das ererbte Vermögen mit großer Geste verschwendete, nur in luxuriösen Schlafwagen reiste, in den besten Hotels nächtigte, bis ihn ein Schlaganfall zur Bewegungs- und Sprechunfähigkeit verdammte. Ein Dandy im Rollstuhl.

Dietrich Lückoff selbst war alles andere als ein Dandy, aber wie Larbaud liebte auch er die Sprachen, das Kosmopolitische als Lebenshaltung, und eine Literatur, die sich dem allen öffnet. „Zwei Sprachen sind immer schöner als eine Sprache. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Menschen diese einfache Wahrheit irgendwann verstehen.“

Als „Geheimagent der Literatur“ wurde Larbaud von Schriftstellerkollegen gerühmt, weil er in allen Ländern Talente ausspähte und sie an die einheimischen Leser verriet. Dietrich Lückoff tat es ihm nach. Kein Zufall, dass Triest eine der Hauptstädte seines Herzens war, denn diese Stadt galt einst als „Mitteleuropas Fenster zur Welt“, und sie zog alle magisch an, die sich nicht mit einem Leben begnügen wollten, sondern in der Literatur, den Sprachen ihr Ego episch multiplizierten.

Dort in Triest hätte auch ein anderer anlanden können, den Dietrich Lückoff für die Leser in Deutschland wiederentdeckte, Vizconde de Lascano Tegui, ein Name wie von einem liebeskranken Romancier erfunden, ein Schicksal so rätselhaft und geheimnisumwittert, dass manche den Vizconde, der sich selbst zum Burggrafen, ernannt hatte, obwohl er der Ausbildung nach ein leibhaftiger Dandy war, für eine Erfindung des Kollegen Jorge Luis Borges hielten.

Dietrich Lückoff wiederum war im wirklichen Leben alles andere als ein Abenteurer. Er fuhr begeistert und sehr waghalsig Autoskooter, das ist wahr, am Lenkrad größerer Wagen wurde er hingegen schnell unsicher und aufbrausend. Er hatte feste Gewohnheiten, so er denn in Berlin weilte. Er rauchte gern und viel, weil sich das für einen Bohemien so gehört. Er las aber auch jeden Morgen ein Bibelwort, das er sich zur Losung des Tages erkor. Er ging gern in den „Diener-Tattersall“, zum einen, weil die Gaststätte gegenüber seiner Wohnung lag, zum anderen, weil er dort die Menschen traf, die er mochte, Künstler, Komiker, kluge Köpfe der kuriosen Art.

Sein größtes und dauerhaftestes Glück aber war es, eine Frau gefunden zu haben, die ihn für das liebte, was er tat, und die ihn nie zwang, einem Lebensrhythmus zu folgen, der nicht sein eigener war. In der Liebe, in der Literatur, in der Liebe zur Literatur, und in der Liebe zu seiner Frau, war er unerschütterlich treu. Gemeinsam lebten sie viele Jahre in Brüssel, zogen weiter nach Rom, verlebten unendlich glückliche Zeiten miteinander, hier und dort: „Du erinnerst Dich / Es waren Tage / Da gingen wir leicht übers Wasser.“

Dietrich Lückoff bildete sich zum Privatgelehrten aus. Und er blieb auf der Spur derer, die nicht im Rampenlicht stehen, was zuweilen verständnislose Nachfragen auslöste.

„Und wen, bitte schön, interessiert Meusebach?“ Nein, nicht Ottfried Hans Freiherr von Meusebach, der in Amerika übrigens seinen Adelstitel ablegte und sich nur noch John O. Meusebach nannte. Dessen historische Bedeutung ist unbestritten. Hier geht es um den Vater Meusebach. Das war Lückoffs Mann! Und der geht jeden etwas an.

Freiherr Karl Hartwig Gregor von Meusebach war von Beruf Jurist und von seiner Passion her Dichter. In seiner Jugend hatte Meusebach unter dem Namen Markus Hüpfinsholz den „Geist aus seinen Schriften … selbst herausgezogen“, später vertraute er ihn seinen Briefen an. „Der schöne Briefe schreibt“, so Jacob Grimm, „das sind Sie, liebster Herr von Meusebach, wer es so könnte, sollte man meinen, möchte die von andern gar nicht lesen.“

Meusebach war ein Büchernarr, der mit seiner Bibliothek das kleine Geltow, unweit von Berlin, zum Sammelort der Forscher, Sammler und Literaturfreunde machte. Ob die Brüder Grimm oder Bettina von Arnim nebst ihren lesehungrigen Freundinnen, alle trafen sich in der Bibliothek Meusebachs, die über 36 000 Bände umfasste.

Aber Meusebach sammelte nicht nur, sondern erforschte auch Volkslieder und andere Schriften des 16. Jahrhunderts, Abhandlungen über Speisen, Spiele, Trachten und Kindererziehung. „Er war außerdem“, vermerkt sein Biograf in der Allgemeinen Deutschen Biografie, „ein Erfinder auf dem Gebiete der komischen Literatur. Er hat die epistolarische ‚Dichtungsart’, wie er sagt, durch den Begriff des ‚Klebebriefs’ erweitert; und dies ist etwas so Verrücktes, dass keine gedruckte Publikation davon auch nur ein annäherndes Bild gewähren kann. M. besaß eine reiche Sammlung von komischen und seltsamen Ausschnitten aus Zeitungen und untergeordneten Druckwerken … seltsame Worte, wunderliche Wendungen, ungeschickt ausgedrückte Gedanken, sonderbare Annoncen … sei es, dass sie an sich lächerlich waren oder durch Verstümmelung lächerlich gemacht werden konnten. Und diese schätzbaren Materialien verwendete er für seine Briefe, indem er jene Ausschnitte entweder seinen eigenen Sätzen einfügte oder ganze Seiten lediglich daraus komponierte. Der Eindruck der verschiedenen Zettel mit ihrem bunten Druck und Papier und der Gedankenzerrbilder, welche mit solchen Mitteln hergestellt werden, die Anschauung eines so gänzlich unzweckmäßigen, mühsamen, zeitverschwendenden, aber durch und durch lustigen Treibens, verbunden mit dem skurrilen, anspielungsreichen, auf unaufhörliche Überraschung berechneten Stil ist über alle Beschreibung spaßhaft.“

Mit seinen Klebebriefen erfreute Meusebach auch die Brüder Grimm, denn: „Ich lebe noch und klebe noch, und zwar mehr noch an Ihnen als für Sie.“

Dietrich Lückoff hat alles gesammelt, was über Meusebach in Erfahrung zu bringen war. Sein Werk über diesen wundersamen Gelehrten und Collagisten stand kurz vor der Vollendung. Nicht viele haben dieses Glück, sich in einem anderen wiederzufinden, ohne selbst dabei verloren zu gehen. Dietrich Lückoff hatte das Glück viele Male; entsprechend groß wird das himmlische Empfangskomitee sein. Allen voran natürlich Vater und Sohn Meusebach, die es sich als Ehre anrechnen werden, ihm einen Titel zu verleihen, obwohl Meusebach jr., wie erwähnt, Titel eigentlich verabscheute, einen ausgenommen, den Titel „Der ideale Leser“.

Und dann werden sie alle gemeinsam und auf ewig durch Bibliotheken geistern, auf der Spur eines Lebens, das ein anderer schon lebte und wiedererleben durfte in den Büchern, die ihm gewidmet werden. „Da erkenne ich etwas wieder / Aus einer vergangenen Zukunft …“

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