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Edda Thimm ist ehrenamtliche Justizvollzugshelferin, organisiert über die Freie Hilfe Berlin e.V.

© Doris Spiekermann-Klaas

Draht nach draußen: „Der würde nie was machen. Der will da sauber durchgehen“

Über den Verein Freie Hilfe sind etwa 130 ehrenamtliche Justizvollzugshelfer organisiert. Edda Thimm ist eine von ihnen, sie engagiert sich in der JVA Tegel.

Von Johanna Treblin

Edda Thimm und ihr Klient haben einen festen Termin. Einmal die Woche treffen sie sich nachmittags in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel. Thimm fährt mit ihrem Auto, läuft zu Tor 2 der Haftanstalt, lässt das Handy im Schließfach, zeigt ihren Vollzugshelferausweis vor, wird durchsucht.

Dann läuft sie zum Gebäude, in dem sie zuvor einen Raum reserviert hat, um mit ihrem Klienten zu sprechen. Nur heute ausnahmsweise mal nicht. Heute ist ihr Auto nicht angesprungen. Sie musste den Schutzbriefdienst rufen, der hat die Batterie ausgetauscht. Aber dann war es für einen Besuch aber zu spät.

Bescheid sagen konnte Thimm nicht. „Aber Daniel hat mich dann eine halbe Stunde später angerufen und gefragt, was los ist.“ Nun will sie an einem der nächsten Tage hinfahren. „Ich lass ihn doch nicht eine Woche schmoren.“

Daniel heißt eigentlich anders. Er ist Mitte 30 und sitzt in der JVA Tegel seine Haftstrafe ab. Das Urteil lautet auf lebenslänglich. Edda Thimm ist Rentnerin und ehrenamtliche Justizvollzugshelferin. Sie ist über die Freie Hilfe organisiert und kennt Daniel seit etwa fünf Jahren.

Über den Verein Freie Hilfe sind etwa 130 ehrenamtliche Justizvollzugshelfer:innen organisiert. Sie besuchen Gefangene, schreiben ihnen Briefe, telefonieren, unterstützen sie beim Ausfüllen von Formularen, üben auch mal Deutsch mit ihnen - sind aber vor allem einfach da, um zu reden. Das hilft im besten Falle beiden.

Ein Überwachungsturm der Justizvollzugsanstalt in Berlin-Tegel.
Ein Überwachungsturm der Justizvollzugsanstalt in Berlin-Tegel.

© Paul Zinken/dpa

Edda Thimm war Krankenschwester, 2004 ging sie in Rente. „Das erste Jahr habe ich nichts gemacht, dann ist mir die Decke auf den Kopf gefallen“, erzählt sie. Thimm suchte sich ehrenamtliche Arbeit, sie begann als Pflegeberaterin. Dabei half sie Menschen, die Pflege benötigen, zu verstehen, welche Kriterien zu welcher Pflegestufe führen und die richtigen Papiere auszufüllen. Zudem wurde sie zusätzlich Sterbebegleiterin. „Und dann hat mir ein Bekannter von Tegel erzählt. Der meinte, du willst doch immer was tun. Und ich sei genau richtig dafür.“ Thimm war interessiert. Und meldete sich bei der Freien Hilfe.

Fast sechs Wochen auf den Vollzugshelferausweis warten - das kann vorkommen

Ein Ladenlokal in der Brunnenstraße. Im Hinterhof ist das Büro der Freien Hilfe, vorne im Ladenlokal treffen sich an einem Dienstagabend Anfang August Ehrenamtliche mit Kristin Schütza, die für die Koordination der Freiwilligen zuständig ist. Es sind Sommerferien, viele sind im Urlaub. Fünf Ehrenamtliche sind dennoch zum Austausch da, sie sitzen um einen Tisch, in der Mitte Wasser, Saft, Kaffee und Schokoriegel, und diskutieren erst einmal, ob die Tür zur Straße offen bleibt oder geschlossen wird. Sie entscheiden sich, sie anzulehnen.

„Wer will loslegen?“ fragt Schütza in die Runde. „Ich“, ruft Gabi sofort. Sie nennt sich „Newby“, hat gerade erst angefangen als Justizvollzugshelferin. Ihren Klienten hat sie erst einmal getroffen, nun wartet sie seit fast sechs Wochen auf ihren Vollzugshelferausweis, mit dem sie ohne Begleitung die Haftanstalt besuchen kann. „Ich rufe da morgen mal an“, sagt Schütza.

Wie ist der Weg zur ehrenamtlichen Justizvollzugshelfer:in?

Wer ehrenamtliche:r Vollzugshelfer:in werden möchte, kann zunächst einen Infoabend bei der Freien Hilfe besuchen. Dann gibt es ein Gespräch mit Schütza. Sie fühlt vor: Hat die Person realistische Vorstellungen von der Tätigkeit? Kann sie sich länger verpflichten? Geht das Gespräch positiv aus, dann kann ein zehnwöchiger Einführungskursus besucht werden. Dort werden Strukturen erklärt, Vokabular erläutert. Referent:innen sind eingeladen, die mit den Teilnehmenden über Kommunikation und Fragen von Nähe und Distanz sprechen.

Diese Themen tauchen auch in den Gesprächen zwischen den Ehrenamtler:innen am Dienstagabend in der Brunnenstraße immer wieder auf. Gibt man seinem Klienten, seiner Klientin die private Rufnummer? Eigentlich nicht, so lernen sie es im Kursus. Thimm hat es dennoch gemacht, nachdem sie Daniel schon mehrere Jahre kannte. Die private Adresse soll man aber auf keinen Fall herausgeben.

Thimm hatte ihren ersten Klienten vor sechs Jahren. Er war ihr zugewiesen worden. Das passte aber nicht. Dann nahm sie sich die Kartei mit den Bewerber:innen vor – die Gefangenen können sich selbst an die Freie Hilfe wenden, wenn sie Interesse an einem Austausch haben – und stieß auf Daniel. „Für mich war wichtig: dass es ein Ersttäter ist, kein Vergewaltiger oder Kinderschänder, wir uns sprachlich verstehen können, er nicht abhängig ist von Drogen oder Alkohol.“ Zu Daniel passten die Kriterien. „Und er hat auch ganz schön geschrieben.“

Ich will das gar nicht immer hören, ich sag dann: Keene Einzelheiten, nichts Blutiges!

Edda Thimm, ehrenamtliche Justizvollzugshelferin

Edda Thimm ist sein einziger Kontakt nach draußen. Seine Frau hat sich von ihm abgewendet, seine Eltern und Geschwister auch. Thimm findet das „traurig“. Er bekommt keinen Besuch, außer von Thimm. „Wir unterhalten uns über dies und das. Was ihn gerade bewegt, die Arbeit.“ Manchmal erzählt er von Streitigkeiten anderer Gefangener untereinander. „Ich will das gar nicht immer hören, ich sag dann: Keene Einzelheiten, nichts Blutiges!“

Unter Corona durften die Gefangenen keinen Besuch empfangen. Thimm und ihr Klient telefonierten viel. Irgendwann durfte man skypen. „Das war eine tolle Sache. Da konnte man sich auch mal sehen.“ Jetzt trifft sie Daniel aber lieber wieder persönlich. Zweimal konnten sie schon zusammen einen Ausflug machen, noch im August stand der dritte an. Zweimal ging es zum nahen Kirchencafé. Mit Fußfessel. Im August soll es endlich mal woanders hingehen, mit Bus oder Bahn, ohne Fußfesseln, aber mit zwei Beamten dabei. „Der würde nie was machen. Der will da sauber durchgehen“, ist Thimm überzeugt. Von Drogen halte er sich fern.

„Ich habe ihm am Anfang gesagt, wenn er Haschisch nimmt oder was anderes, dann komme ich nicht mehr. Da hält er sich dran. Wenn nicht – ich würde es merken.“ Sie hofft, dass es so bleibt. Sie treffe ihn schließlich gerne. „Ich wäre schon traurig, wenn es zu Ende wäre.“

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