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Berlin: Eher Korrektiv als Haudrauf-Opposition

Opposition - darin haben die Grünen jahrzehntelange Erfahrung. Opposition gegen den Sinn der eigenen Koalitionsverhandlungen - das ist eine ganz neue Situation.

Opposition - darin haben die Grünen jahrzehntelange Erfahrung. Opposition gegen den Sinn der eigenen Koalitionsverhandlungen - das ist eine ganz neue Situation. Vor dieser Aufgabe aber sehen sich die Grünen nach den gescheiterten Ampelkoalitionsverhandlungen und angesichts der Bildung des rot-roten Senats. "Die jetzige Koalition hat einen Großteil unserer Verhandlungsergebnisse übernommen", resümierte am Montag ihr Vorsitzender Till Heyer-Stuffer, die Grünen stünden deshalb jetzt vor einer "schwierigen Situation".

Jenseits von CDU und FDP, aber auch jenseits von SPD und PDS müssen die Grünen in diesem Jahr eine neue Rolle finden. Heyer-Stuffer kündigte an, man wolle Opposition "außerhalb des Bürgerblocks von CDU und FDP" sein und auf "platte Haudrauf-Opposition" verzichten. Angesichts der vielen Übereinstimmungen mit Rot-Rot müssten die Grünen vielmehr das Korrektiv sein, das die Politik der Koalition an ihren Ansprüchen und an ihren Vereinbarungen messe.

Auf ihrer Landesvorstandsklausur am Wochenende haben sich die Grünen deshalb den Koalitionsvertrag von SPD und PDS vorgenommen. Der Vertrag sei "unseriös", bilanzierte Heer-Stuffer. Die geplante Senkung der Nettoneuverschuldung beispielsweise sei so nicht zu halten. Zudem sei die Vereinbarung "bildungs- wie wissenschaftsfeindlich". Zum einen zeige sich das an der alternativlosen Abwicklung der medizinischen Forschung am Benjamin-Franklin-Klinikum. Zudem habe die Koalition keine finanzielle Garantie für die 85 000 Studienplätze in Berlin übernommen. Dazu ein weiterer Vorwurf: "Kulturfeindlich" nennt Heyer-Stuffer die Kürzung der Kulturgelder, die mit dem Schließen des Theaters des Westens frei werden. "Mau ist die Koalition bei der Frage der Integrationspolitik", urteilt der Grünenvorsitzende weiter, "und die Personaldebatte um die Senatsbesetzung ist erschreckend." Noch ein letzter Punkt verärgert gerade die Grünen. Welche Rolle Frauen in der rot-roten Koalition spielen, könne man sowohl an der Senatorenfrage sehen als auch daran, wie ausschließlich die sechs Männer von SPD und PDS die Koalitionsverhandlungen geleitet haben. "Chancengleichheit ist offenbar in beiden Parteien ein Lippenbekenntnis", so Heyer-Stuffer.

Er und die andere Vorsitzende, Regina Michalik, kritisierten nach der Klausur-Sitzung auch den eigenen Verband. Die Bedingungen, unter denen der Landesvorstand arbeiten müsse, zeigten einen Umgang der Partei mit diesen Aufgaben, der "politisch wie persönlich nicht besonders verantwortungsvoll" sei, formulierte Michalik. Sie wie Heyer-Stuffer machen eine erneute Kandidatur um den Vorsitz im kommenden Jahr von Verbesserungen abhängig. Michalik betonte, es ginge dabei nicht nur um die Bezahlung des Vorstands, sondern auch um die Ausstattung der Geschäftsstelle. Diese, bislang in der Kreuzberg Oranienstraße, soll umziehen - nur ein preisgünstigeres Quartier ist noch nicht gefunden.

Angesichts der schlechten Verhältnisse will Michalik noch nicht einmal mehr ausschließen, dass auch der Berliner Landesverband über das Diktum der Trennung von Amt und Mandat nachdenkt. Allerdings lägen bislang auch keine "langen Listen aus der Fraktion vor" - von Mandatsträgern, die unbedingt auch noch den Parteivorsitz übernehmen wollten. "Die Frage wird im Lauf des Jahres im Landesverband diskutiert", denkt aber auch Heyer-Stuffer.

Erste strukturelle Veränderungen hat der Landesvorstand jetzt schon geplant. So soll die Zahl der inhaltich arbeitenden Gruppen auf fünf beschränkt werden. Derzeit arbeiten 15 solcher Gruppen im Landesverband - und üben ihr Stimmrecht auf Landesdelegiertenkonferenzen aus. Zwar versicherten Heyer-Stuffer und Michalik, der Vorstand wolle nicht die Zahl der Delegierten reduzieren. Doch zumindest zielt der Vorschlag auf eine bessere Überschaubarkeit und Einbindung der Interessengruppen und -grüppchen im Landesverband. Und neben der verstärkten inhalichen Debatte setzen die Parteispitzen auf den Kontakt zum einfachen Mitglied. Zum Beispiel mit Kneipengesprächen und "Promis zum Anfassen".

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