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Berlin: Ein Karussell für Millionen

Vor Gericht: Wie 167 Kilo Kokain in den „Fliegenden Teppich“ kamen

Hätte Norbert Witte seine Geschichte vom „Fliegenden Teppich“, dem Gold und dem Polizeimajor, der gar keiner war, in früheren Zeiten erzählt, wäre er vermutlich als Lügenbaron abgetan worden. Doch Norbert Witte sitzt sehr selbstbewusst, wenn auch etwas geschwächt, vor dem Berliner Landgericht, als er die vergangenen drei Jahre seines Lebens Revue passieren lässt. Als Angeklagter muss er zwar nicht die Wahrheit sagen, doch selbst wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was er zwischen Berlin und Peru erlebt haben will, war das Ganze schon ein Abenteuer. Im vergangenen Jahr soll Norbert Witte versucht haben, 167 Kilogramm Kokain von Südamerika nach Deutschland zu schmuggeln – in einem hundert Tonnen schweren Karussell. Am Donnerstag begann gegen ihn der Prozess wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

Norbert Witte ist 49, seine Machenschaften haben zwar Spuren an seiner Gesundheit hinterlassen, nicht aber an seinem Auftreten. Norbert Witte trägt einen gepflegten Schnauzbart, das Hemd unter dem dunklen Sakko ist groß gemustert. Auf dem dunklen, nach hinten gefönten Haar kann man sich gut den Schlapphut vorstellen, der einst sein Markenzeichen war. Berlin hat Norbert Witte noch gut als Chef des Spreeparks in Erinnerung. Witte hatte 1990 den ehemaligen DDR-Kulturpark Plänterwald mit großem Ehrgeiz, aber wenig kaufmännischem Erfolg übernommen. Am Ende war der Rummel pleite, es gab Schulden in zweistelliger Millionenhöhe und ein Verfahren wegen Insolvenzverschleppung. Was es nicht gab, war ein Haftbefehl gegen Witte, und so packte Witte die sechs Karussell-Anlagen, die er noch hatte, auf ein Schiff und fuhr damit nach Südamerika. Dem Schlamassel entkam er dadurch nicht. Der fing jetzt erst richtig an.

Das scheint bei Wittes allerdings in der Familie zu liegen. Sein Großvater Otto Witte, ebenfalls Schausteller, hat einst versucht, die Tochter eines abessinischen Herrschers zu entführen. Das klappte nicht, er kam in den Kerker. Er konnte flüchten, ging zur Fremdenlegion und später zur türkischen Spionageabwehr. Eines Tages im Jahr 1913 erfuhr er, dass in Albanien ein neuer König gekrönt werden sollte. Otto Witte besorgte sich bunte Kostüme und gab sich als Thronfolger aus. Nach fünf Tagen flog der Schwindel auf, Otto Witte musste abermals flüchten. Eine alte Postkarte, die Otto Witte von sich machen ließ, zeigt einen schnauzbärtigen Mann, darunter steht: „Ex-König von Albanien, der größte Weltabenteurer“.

Den Enkel und Ex-Spreepark-Chef Nobert Witte führte das Abenteuer nach Peru. Er stellte seine Fahrgeschäfte in der Nähe eines Einkaufszentrums auf, die Attraktion war das Karussell mit dem Namen „Fliegender Teppich“. Erst lief das Geschäft, das er gemeinsam mit seinem Sohn betrieb, ganz gut, 100000 Dollar verdiente er im Monat, wie Norbert Witte vor Gericht ausführt. Doch es dauerte nicht lange, und es kam jemand und verlangte Schutzgeld. Witte musste immer mehr zahlen, auch fand er sich in dem Land nicht zurecht, sein Spanisch war schlecht. Die hohe Luftfeuchtigkeit setzte den Karussells zu, und eigentlich wollte Witte nur mehr zurück nach Deutschland. Dann sei, sagt Witte, eines Tages sein Bekannter Elio vorbeigekommen.

Den kannte Witte noch aus Berlin. Im Jahr 2002 wollte Elio etwas mit Gold aufziehen. Er sagte, er könne größere Mengen Rohgold besorgen, Witte sollte den Transport dafür übernehmen. Aus dem Geschäft war nichts geworden, doch Elio hatte noch andere Ideen. In Peru hatte er dann eine Pistole dabei, er soll Witte gedroht haben und sagte zu ihm, er wolle Kokain in den „Fliegenden Teppich“ packen und nach Europa transportieren. Die Wittes sollten ihm dabei helfen, 700000 Dollar würden herausspringen. Witte wollte anfangs nicht, wie er vor Gericht sagt. Er habe sich an einen Major der Drogenpolizei gewandt. Doch der war wohl kein richtiger Polizeimajor und wollte, soweit es Witte aus dem Gespräch „mit Händen und Füßen“ verstand, selbst gerne ein paar Kilo Kokain im „Fliegenden Teppich“ unterbringen. „Da war ich sprachlos“, sagt Witte. Er hat dann noch seinem Bekannten Franco die Situation geschildert. Der fand das ebenfalls toll – und brachte Wittes noch 20 Kilogramm Kokain zum Schmuggeln vorbei. Am Ende waren 167 Kilogramm reines Kokain mit einem Marktwert von etwa vier Millionen Euro zusammengekommen. Da habe er nicht mehr gewusst, wie er aus der Sache rauskomme und den Widerstand aufgegeben, sagt Witte.

Der „Fliegende Teppich“ ist ein Fahrgeschäft mit einem zwölf Meter langen Mast. An einem Arm ist eine Art Gondel befestigt, die sich auf und nieder bewegt. Witte, nun wieder ganz Schausteller, verlangte, dass das Rauschgift in den Sockel gepackt wird, um die Konstruktion des Karussels nicht zu beschädigen. Doch die peruanischen Beteiligten des Schmuggels entschieden sich für den Arm. „Ein gutes Versteck“, sagt ein Kriminalbeamter, der an den Ermittlungen in Deutschland beteiligt war. Durch einen Tipp aus Peru war die Aktion allerdings aufgeflogen, zum Verladen des „Fliegenden Teppich“ erschien die peruanische Polizei. Norbert Witte wurde bei einem Kurzbesuch in Berlin verhaftet, er hat einen Herzinfarkt erlitten und sieht nun, gesundheitlich schwer angeschlagen, im Fall einer Verurteilung einer Strafe von bis zu 15 Jahren entgegen. Sein Sohn ist ebenfalls in Untersuchungshaft, allerdings in Peru. In der Familie Witte ist nun er derjenige, auf den wohl noch einige Abenteuer zukommen.

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