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„Ein kleiner Moment kann das ganze Leben verändern“ : Berliner Unfallkrankenhaus zeigt Kindern, wie gefährlich Feuerwerk wirklich ist
Zerschmetterte Hände statt Freude an buntem Funkenflug? Ein Silvester-Präventionsprojekt bietet Aufklärung für Kinder und Jugendliche – mit Praxistipps von Feuerwehrleuten, Polizisten, Ärzten und Pyrotechnikern.
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Schwere Jacken, Helme, Handschuhe. Ein paar Minuten lang sind die Kinder und Jugendlichen keine Zuschauer mehr, sondern Feuerwehrleute. In einer der Stationen des Silvester-Präventionsprojekts am Unfallkrankenhaus Berlin schlüpfen sie in die Schutzkleidung der Berliner Feuerwehr. Hier in Marzahn üben sie an diesem Donnerstag gemeinsam einen Einsatz: Ein fingierter Notfall nach Böllerschäden, Verletzte müssen versorgt, Gefahren eingeschätzt werden. Die Stimmung ist konzentriert – und ernst. Schnell wird klar: Feuerwerk kann lebensgefährlich sein.
„Die Jungs haben Krater in den Wald gebombt“, erklärt Bezirksbürgermeisterin Nadja Zivkovic (CDU) vor den Teilnehmern im Hörsaal des Unfallkrankenhauses Berlin (UKB). Es geht um eine der Workshop-Stationen. Klingt martialisch, doch der Ton ist angebracht. Denn laut der Leiterin des Projektes, der Handchirurgin Leila Harhaus-Wähner, sind rund ein Drittel der Silvesteropfer Jugendliche unter 18 Jahren.
Viele sind am Thema Kugelbomben interessiert
„Uns an der UKB stellt die Silvesternacht vor besondere Anforderungen, die selbst uns an unsere Grenzen bringen“, sagt die Chirurgin. Genau aus diesem Grund wurde das Präventionsprojekt „C.L.E.V.E.R“ ins Leben gerufen. Die Abkürzung bedeutet: „Check Life, Explosionen verursachen ernsthafte Risiken“.

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In sieben verschiedenen Workshops lernen Schülerinnen und Schüler aus mehreren Berliner Schulen von Pyrotechnikern den sicheren Umgang mit Feuerwerk; Sanitäter erklären unterschiedliche Rettungsmaßnahmen; Polizisten sprechen über die rechtlichen und gesundheitlichen Folgen unbedachten Böllerns.
In der ersten inhaltlichen Station erklärt Felix Martens vom Vorstand des Bundesverbands für Pyrotechnik, was Feuerwerkskörper eigentlich beinhalten – und warum sie so gefährlich sind. Es geht um Schwarzpulver, Zündmechanismen und Explosionskräfte. Unterstützt werden seine Ausführungen durch Videos, die reale Schäden zeigen. Es fällt auf: Die Teilnehmer sind vor allem an einem Thema interessiert – Kugelbomben, die in der letzten Berliner Silvesternacht so fatale Folgen hatten. „Jeder kennt Kugelbomben, gefährlich werden sie erst, wenn sie in die falschen Hände gelangen“, sagt der Pyrotechniker.
Viele stellen Fragen, wollen etwa wissen, weshalb Kugelbomben für Nichtprofis verboten sind. Georg Osterhoff, ärztlicher Direktor am UKB, warnt im Gespräch mit dem Tagesspiegel eindringlich: „Besonders die Druckwellen der Kugelbomben sind gefährlich.“ Diese könnten so stark sein, dass schwerste innere Verletzungen entstehen – sogar das Herz könnte dabei einreißen. Sein Satz bleibt hängen: „Ein kleiner Moment kann das ganze Leben verändern.“ Auch Polizeisprecher Florian Nath äußert sich deutlich zum Thema Kugelbomben: „Das jetzige Silvester hat nichts mehr mit Feiern zu tun.“

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Tipps für den sicheren Umgang mit Feuerwerk werden ebenfalls vermittelt. Der Pyrotechniker warnt: niemals Alkohol trinken und böllern. Ebenso wichtig sei es, Raketen und Böller stets auf dem Boden abzustellen und niemals in der Hand zu zünden. „Abstellen, anzünden und Abstand halten.“
Draußen zeigt der Pyrotechnikverband, welche Kräfte Explosionen entfalten. Das Experiment mit einem Rotkohl sorgt für Staunen: In der Nähe eines Böllers wird er vollständig gesprengt, Teile fliegen davon. Für viele ein Moment, in dem ihnen die Gefahr von Feuerwerk richtig bewusst wird.

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In der dritten Station geht es um die Feuerwehr – zunächst theoretisch. Der Marzahner Kiezbeauftragte der Feuerwehr, Marek Schanze, erklärt den Beruf, die Aufgaben und die Einsätze rund um Silvester. Die Schülerinnen und Schüler dürfen dann Schutzkleidung anfassen und Fragen stellen. Besonders eindrücklich sind Schanzes Schilderungen der vergangenen Silvestereinsätze, von brennenden Autos, Barrikaden oder Angriffen auf Einsatz- und Rettungskräfte. Im Raum wird es still.
Am Ende des Gespräches stellt Marek Schanze eine Frage: Ob privates Feuerwerk verboten gehören sollte? Fast alle Kinder und Jugendlichen nicken eifrig. Das Erstaunen über die realen Folgen ist ihnen anzusehen.
Besonders beliebt sind die Stationen, in der die Jugendlichen selbst Feuerwehr sein dürfen. Mit echter Kleidung und originalen Gegenständen aus Rettungsfahrzeugen stellen sie einen Unfall nach. Von der Unfallstelle bis hin zum Schockraum werden die Jugendlichen durch die Leiter des Projekts geführt.

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Im Schockraum erklärt ein Krankenpfleger, was in den ersten Momenten nach einem schweren Unfall im Krankenhaus passiert. Dabei liegt ein Junge mit verbundenen Augen und angeschlossen an einen Patientenmonitor auf einer Trage. Veranschaulicht werden die möglichen Folgen eines Böllerunfalls – vom Lungenkollaps bis hin zum Verbluten.
Die Wirkung des Workshops ist deutlich. „Das ging mir sogar etwas unter die Haut“, sagt eine Schülerin. Eine andere erzählt, sie fühle sich jetzt aufgeklärt, habe aber weiterhin Angst vor Feuerwerk. Viele berichten, dass sie selbst nicht böllern. Ein Schüler gibt ehrlich zu, dass er Feuerwerk mag, sagt aber, der Workshop habe ihn sensibilisiert.
Die Projektleitung zeigt sich zuversichtlich. Für das kommende Jahr soll es noch größer werden und mehr Kinder und Jugendliche erreichen. Der Fokus liegt klar auf Aufklärung, nicht auf Verboten. Kinder sollen verstehen, was hinter Feuerwerk steckt und welche Folgen es haben kann. Die Botschaft: Erst denken, dann böllern.
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