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Wohnhäuser in Berlin vor dem Fernsehturm

© dpa/Britta Pedersen

Ein revolutionäres Gesetz: Die Details des Berliner Mietendeckels

Bis zuletzt haben die rot-rot-grünen Koalitionäre in Berlin um eine Einigung zum Mietendeckel gerungen. Wie sieht nun die Lösung aus?

Von
  • Sabine Beikler
  • Ulrich Zawatka-Gerlach

Es gibt einen Mietendeckel für Berlin. Seit dem 18. Juni, als der Senat die „Eckpunkte für ein Berliner Mietengesetz“ beschloss, ringen SPD, Linke und Grüne um einen landesgesetzlich geregelten Mietendeckel. Anfang 2020 soll er in Kraft treten.

Am Freitag beriet der Koalitionsausschuss letztmalig über das Thema, das zwischen den Parteien und in der Berliner Stadtgesellschaft heiß umstritten ist. Zeitweilig standen die Verhandlungen vor dem Abbruch. Dann einigte man sich doch auf ein Neun-Punkte-Programm.

Der Senat wird den überarbeiteten Gesetzentwurf der Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) voraussichtlich am Dienstag beschließen. Er ist bundesweit einmalig.

Wer hat den Mietendeckel erfunden?
In der „Juristen-Zeitung“ erschien im November 2018 ein Aufsatz, in dem der ehemalige Fachanwalt Peter Weber, derzeit im Wohnungsamt des Bezirks Pankow tätig, die Möglichkeit eines „öffentlich-rechtlichen Mietpreisrechts“ beschrieb. Die Quintessenz des Aufsatzes: Mit der Föderalismusreform 2006 sei die Rechtszuständigkeit für das Wohnungswesen auf die Länder übergegangen. Dadurch sei es möglich, ausufernde Mietpreise durch Verwaltungsrecht zu binden, bestimmte Höchstpreise könnten behördlich festgelegt werden.

Zwei Monate später griffen die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl und der Vize-Landeschef der Sozialdemokraten, Julian Zado, den Vorschlag in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel auf. Ihre Idee: Vor allem für Wohnungen im Innenstadtbereich sollten Mietobergrenzen anhand sozialer Kriterien festgelegt werden. Ziel solle es sein, die durchschnittliche Nettokaltmiete in Berlin bei sechs bis sieben Euro je Quadratmeter zu halten. Linke und Grüne schlossen sich der Initiative für einen Berliner Mietendeckel sofort an.

Worüber hat sich die Koalition gestritten?
Zu Beginn der koalitionsinternen Diskussion lagen SPD, Grüne und Linke weit auseinander. Die SPD wollte ausschließlich ein Mietmoratorium, also das Einfrieren der Mieten für fünf Jahre. Die Sozialdemokraten lehnten auch einen „atmenden Mietendeckel“ ab, der Genossenschaften und sozialen Vermietern die Möglichkeit gäbe, einen Aufschlag bei Neuvermietungen zu verlangen.

Die SPD begegnete auch Mietobergrenzen sehr skeptisch. Die Linke wollte neben solchen Obergrenzen auch eine Absenkung von Bestandsmieten durchsetzen, die über einer Mietobergrenze liegen. Das hätten auch die Grünen mitgetragen, allerdings zeitlich abgestuft. Davon ist im Kompromiss, der nun angepeilt wird, keine Rede mehr.

Was sagen Verbände und Opposition?
Wegen des Mietendeckels befürchtet die „Initiative Faires Wohnen“, in der 40 Handwerksbetriebe, Verbände und Vereinigungen organisiert sind, dass Berlin in den kommenden Jahren 20.000 bis 30.000 Fachkräfte verliert, weil Wohnungsunternehmen Sanierungen, Modernisierungen und Neubaupläne zurückfahren würden. Die Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) teilt die Befürchtungen der Initiative und warnt vor negativen Folgen für private Investitionen im Gebäudebestand. Das Gesetz zum Mietendeckel sei ein „Investitionsdeckel“.

Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) hat den Mietendeckel als „Schlag ins Gesicht für die gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft“ kritisiert. Der Verband vertritt die Interessen von privaten, öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen in Berlin und Brandenburg. Seine Mitglieder bewirtschaften rund 1,1 Millionen Wohnungen.

Während der Verband „Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland“ Stimmung gegen den Mietendeckel machte, sprachen sich Mitglieder einiger Berliner Genossenschaften für den Mietendeckel aus. Die Berliner CDU und FDP haben angekündigt, rechtlich gegen das Mietendeckel-Gesetz vorzugehen. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hatte ein Normenkontrollverfahren angekündigt.

Was sagen Rechtsgutachten?
Verschiedene Gutachten, die von Parteien, Verbänden und der Berliner Senatskanzlei in Auftrag gegeben wurden, kommen erwartungsgemäß zu unterschiedlichen Ergebnissen. Denn Rot-Rot-Grün betritt mit seiner Initiative verfassungsrechtliches Neuland. Zuletzt kam der Staatsrechtler Ulrich Battis zu dem Ergebnis, dass ein Mietenstopp juristisch machbar, die Absenkung von Mieten und die Festlegung von Preisobergrenzen aber sehr problematisch sei.

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hält den Mietendeckel dagegen für komplett verfassungswidrig. Der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Bundestages kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Fachjuristen im Auftrag der Berliner SPD-Fraktion gehen wiederum von einer Länderkompetenz in Sachen Mietenstopp aus.

Viele weitere Analysen bestätigen die alte Weisheit: Zwei Juristen, drei Meinungen. Den Widerstreit zwischen dem Mietrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch und der Länderzuständigkeit für das Wohnungswesen wird wohl das Bundesverfassungsgericht endgültig klären müssen.

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Wie sieht der Mietendeckel aus?
Das Mietenmoratorium war in der Koalition von Anfang an unstrittig. Der von Stadtentwicklungssenatorin Lompscher Mitte Juni vorgelegte und im Senat verabschiedete Eckpunkte-Entwurf für den Mietendeckel beinhaltet unter anderem einen Mietenstopp für fünf Jahre und eine Begrenzung der Preise bei Wiedervermietungen auf die Höhe, die der Vormieterhaushalt bezahlt hat. Ausgenommen davon sind Berliner Neubauwohnungen und Sozialwohnungen, für die eigene Regelungen greifen. Ab 2022 soll ein Inflationsausgleich von 1,3 Prozent jährlich möglich sein.

Die Absenkung von Mieten war bis zuletzt der zentrale Streitpunkt innerhalb der Koalition. Lompschers ursprünglicher Vorschlag, dass eine Miete dann überhöht sei, wenn die Mietbelastung mehr als 30 Prozent des anrechenbaren Haushaltseinkommens beträgt, ist vom Tisch. Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) befürchtet Entschädigungszahlungen an die betroffenen Vermieter aus dem Landeshaushalt. In diesem Fall könnte der Vermieter sogar einen Schadensausgleich vom Land Berlin einfordern, gab der Finanzsenator zu bedenken.

Es gab dagegen auch massive juristische Vorbehalte, außerdem wäre die verwaltungstechnische Umsetzung sehr aufwendig. Trotzdem soll bis zur Verabschiedung des Mietengesetzes im Abgeordnetenhaus noch eine „Untersuchung zum Verhältnis von Einkommenssituation und Mietbelastung angestellt“ werden. Verständigt hat sich die Koalition auf die Kappung von Wuchermieten. So werden Mieten bezeichnet, die mehr als 20 Prozent der im neuen Gesetz verankerten Tabellenmiete betragen. Sie werden auf den Höchstsatz verringert.

Berücksichtigt werden dabei Abschläge für einfache Lagen (- 28 Cent je Quadratmeter) und mittlere Lagen (- 9 Cent) und Zuschläge für gute Lagen (+ 74 Cent). Die Regelung für Wuchermieten soll neun Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes angewendet werden.

Auf gesetzliche Mietobergrenzen hätte die SPD gern verzichtet. Aber Linke und Grüne wollten das auf keinen Fall. Die SPD beharrte bis zuletzt auf der Orientierung der erlaubten Mietpreise am Berliner Mietspiegel von 2019, der höhere Mieten zuließ als die ortsübliche Vergleichsmiete in früheren Jahren. Grüne und Linke dagegen wollten an den Werten im Mietspiegel 2013 festhalten.

Geeinigt hat man sich nun auf folgende Grundsätze: Es wird eine Tabelle für zulässige Mietobergrenzen im neuen Landesgesetz geben. Bei Wiedervermietung gilt die Vormiete. Falls die Vormiete die Obergrenze überschritt, gilt die Tabellenmiete. Bei einer Wiedervermietung dürfen besonders niedrige Mieten (unter fünf Euro je Quadratmeter) um höchstens einen Euro auf maximal fünf Euro angehoben werden.

Nach Modernisierungsmaßnahmen soll die Wohnungsmiete nur in sehr engen Grenzen vom Vermieter erhöht werden dürfen. Vorgesehen ist jetzt ein anzeigepflichtiger Aufschlag von einem Euro pro Quadratmeter. Für Modernisierungskosten, die maximal einen Euro über die anzeigepflichtige Grenze hinausgehen, sollen von den Vermietern Förderprogramme genutzt werden.

Eigentlich sollte der Rechtsbehelf für das neue Mietengesetz gegenüber dem Gesetzentwurf Lompschers korrigiert werden. Vorgesehen war die Möglichkeit eines sogenannten „Vorverfahrens“. Mieter und Vermieter könnten demnach bei der dann zuständigen Berliner Behörde Widerspruch einlegen, falls sie ihre Rechte gefährdet sehen. Erst danach wäre der Weg zum Verwaltungsgericht offen. Diese Regelung führt zu einer vermutlich starken Belastung der öffentlichen Verwaltung, aber einer deutlichen Entlastung der Gerichte. Im Einigungskatalog für das Mietengesetz ist dieser Punkt allerdings nicht enthalten.

Zuständig für die verwaltungsmäßige Umsetzung des neuen Mietengesetzes sollen die Bezirke, die Investitionsbank Berlin (IBB) und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sein. Der Aufbau eines neuen Landesamtes für den Mietendeckel wurde als zu zeitraubend und aufwändig abgelehnt.

Aber auch die Bezirksämter und die landeseigene Investitionsbank werden Zeit brauchen, um genügend Fachpersonal zu rekrutieren und eine passende IT-Infrastruktur aufzubauen. Rot-Rot-Grün verständigte sich nun darauf, dass das Personal zur Umsetzung des Mietendeckels „zentral durch die federführende Stadtentwicklungsverwaltung rekrutiert und gegebenenfalls in Bezirke abgeordnet wird“.

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